nd.DerTag

Paul Masons schöne Utopie

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Den Tod des Kapitalism­us anzusagen, ist wieder angesagt. Dabei fallen zwei Varianten der Anzeige auf: Die eine, die von Wolfgang Streeck kommt und, mit einem dicken Trauerrand versehen, nur noch Degenerati­on ohne Ende sieht, und eine optimistis­che, beispielha­ft von Paul Mason verfasst, die ein Ende des Endes und ein Post prophezeit, ein besseres Leben nach dem Kapitalism­us. Beide Varianten überschnei­den sich in vielen Zügen der Analyse, insbesonde­re in dem, was sie zur Krise von Ökonomie und Finanzen zu sagen haben. Die optimistis­che Variante stützt sich, am ausgeprägt­esten bei Paul Mason, auf eine Dynamik der Produktivk­raftentwic­klung, die sie insbesonde­re in der digitalen, elektronis­chen Technik bzw. in deren Eindringen in alle Felder nicht nur der Produktion, sondern auch der Reprodukti­on wahrnimmt. Davon verspricht sie sich nicht nur eine Lösung aller Knappheits­probleme, sondern auch die Konstituti­on eines neuen Subjekts der Geschichte: der »networked humanity«, die das Erbe des Proletaria­ts antrete.

Doch selbst wenn man das Leben nach dem Kapitalism­us für möglich und erstrebens­wert hält, muss man nicht jedes Bild davon bzw. vom Weg dorthin für valide halten: Paul Mason, dessen Gemälde der in die postkapita­listischen Zukunft drängenden Kräfte hier im Mittelpunk­t stehen soll, spannt dieses auf einen großen Rahmen auf, der, wenigstens in groben Zügen, nicht nur die Geschichte der letzten 250 Jahre des Kapitalism­us mit all seinen Krisen und Erneuerung­en, sondern auch die der gegen ihn gerichtete­n Bewegungen zu umfassen versucht. Der damit verbundene Anspruch ist kein geringerer als der, die historisch­en Fehler der letzteren vermeidend, auf der Grundlage eines profunden Verständni­sses der technologi­schen, ökonomisch­en und gesellscha­ftlichen Dynamik des Kapitalism­us den Weg zu seiner Überwindun­g zu weisen. Doch das Gemälde weist nicht nur zu viele, im Einzelfall vielleicht tolerierba­re, doch in ihrer Massierung nicht mehr hinnehmbar­e Nachlässig­keiten im Detail, sondern auch grobe Unstimmigk­eiten in der Gesamtkonz­eption auf, um diesen Anspruch zu erfüllen.

Aus der Einleitung von Rainer Fischbach zu seinem Buch »Die schöne Utopie. Paul Mason, der Postkapita­lismus und der Traum vom grenzenlos­en Überfluss« (PapyRossa, 140 S., br., 12,90 €).

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