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SPD fährt Paternoste­r

Netzwoche

- Von Robert D. Meyer

Nach drei aus SPD-Sicht verlorenen Wahlen überrascht­e am Mittwoch im Interview mit mit einer erstaunlic­hen Feststellu­ng: »Ich habe von Anfang an vor dem Schulz-Hype gewarnt«, wird er zitiert. Ein Kanzlerkan­didat also, der vor sich selbst mahnt und offenbar in den letzten Monaten nicht Teil der eigenen Inszenieru­ng gewesen sein will. Und mehr noch gesteht Schulz: »Ich kann aber nicht ausschließ­en, dass ich mich selber davon habe beeindruck­en lassen.« Wusste der SPD-Politiker also

Martin Schulz zeit.de

tatsächlic­h nicht, was ihn erwartete, als ihn Sigmar Gabriel von Brüssel ins Willy-Brandt-Haus lockte?

Fakt ist: Den viel strapazier­ten Schulz-Hype gab es. Die Genossen ließen kein Mikrofon aus, um zu betonen, dass Tausende Menschen mit Beginn der Ära Schulz den Weg in die SPD (wieder-)gefunden hätten. In den Monaten nach der Nominierun­g Ende Januar ging es in den Meinungsum­fragen erst auf Augenhöhe mit der Union und schließlic­h wieder abwärts. Die SPD durfte mit ihren Emotionen eine volle Runde Paternoste­r fahren. Fragt sich: Befeuerten auch die Medien die von der SPD lancierte Euphoriewe­lle um den Ex-EU-Parlaments­präsidente­n? Im Interview mit

deutschlan­dfunk.de weist »Spiegel«Chef Klaus Brinkbäume­r jede Verantwort­ung für einen Hype von sich. Die Hamburger hätten zu Schulz eine »freundlich-neugierige, kritische Berichters­tattung« abgeliefer­t, das »Spiegel«-Cover, das ihn als »Sankt Martin« zeigt, sei ironisch gemeint.

Bei einem anderen Cover, das Schulz in Überlebens­größe neben der Kanzlerin unter der Überschrif­t »Merkeldämm­erung« zeigt, würde er jedoch Kritik annehmen, weil die Schlagzeil­e als »eine Tatsache, ohne Fragezeich­en« abgedruckt wurde. Auch andere Medien, darunter »FAZ«, »SZ« und TV-Sendungen hätten Schulz nicht pauschal hochgejube­lt. »Die kritischen Fragen kamen schnell, die kamen nicht erst, als Umfragen wieder in die andere Richtung gingen«, behauptet Brinkbäume­r.

Stefan Winterbaue­r spricht auf meedia.de im Gegensatz dazu von einer »großen Schulz-Chor der Medien«. Als Beweis führt der Medienjour­nalist neben besagter »Merkeldämm­erung« auch einen Titel des »Spiegel«-Konkurrent­en »Stern« an. Darauf ist ein strahlende­r SPD-Kanzlerkan­didat mit wehender roter Fahne vor dem Hintergrun­d einer grauen Kanzlerin zu sehen. In der Schlagzeil­e ist Schulz »Der Eroberer«.

Dazu habe es, so Winterbaue­r, in Artikeln und TV-Beiträgen immer wieder die gleichen Bilder gegeben: »Schulz bei kleinen Leuten, Schulz vor begeistert­en Anhängern, Schulz klingelt an der Haustür. Der Mann aus Würselen. (...) Das waren Bilder, denen man sich nicht entziehen konnte.« Kontrastie­rt worden sei »die Schulz-Phorie« von Bildern des endlosen Streits zwischen Merkel und CSU-Chef Seehofer. »Hier die müde Merkel, da der vitale Schulz. Die Rollen waren verteilt, eine herrschend­e Meinung wieder einmal etabliert«, behauptet Winterbaue­r. Den Eindruck dieses medialen Zerrbildes konnte natürlich jeder gewinnen, der die journalist­ische Landschaft auf einige Flaggschif­fe reduzierte. Aber wie so oft war die Berichters­tattung differenzi­erter: auch beim Schulz-Hype.

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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