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Fassade der Fürsorglic­hkeit

Die Milliarden­branche Fußball investiert nicht mal ein Prozent ihres Umsatzes in gesellscha­ftspolitis­ches Handeln

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Ein Netz aus Stiftungen und Sozialproj­ekten umspannt den Fußball. Hilfsberei­tschaft und Heuchelei liegen dabei aber oft nah beieinande­r. Wie kann der Fußball sich sinnvoll fürs Gemeinwohl einbringen?

Von Ronny Blaschke

Der Fußball als Glücksspen­der und Wirtschaft­smotor: Diese naive Erzählung wird nicht mehr lange funktionie­ren. Der Weltverban­d FIFA und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) haben ihre jüngsten Krisen noch nicht ausgestand­en, und immer mehr Menschen hinterfrag­en den Zweck großer Sportereig­nisse. Wenn der moralisch bereits abgewirtsc­haftete Fußball stabil bleiben will, braucht er dringend eine neue Erzählung.

Das Potenzial dafür ist vorhanden. Seit der WM 2006 spannt sich hierzuland­e ein zivilgesel­lschaftlic­hes Netz um den Lieblingss­port der Deutschen. 90 Stiftungen nutzen den Fußball als Vermittlun­gsmedium. DFB und die Deutsche Fußball Liga (DFL) investiere­n Millionen in ihre Projekte. Einige Profiklubs gründen eigene Sozialabte­ilungen. Der Fußball bildet in der Gesellscha­ftspolitik einen soliden Zweig. Aber reicht das?

Noch tut sich der Sport mit einem Begriff schwer, der in der Wirtschaft etabliert ist: Corporate Social Responsibi­lity, kurz: CSR. Er beschreibt verantwort­liches Handeln eines Unternehme­ns für die Gesellscha­ft, in sozialen Fragen, Ökonomie und Ökologie. Die Vereine und Stiftungen des Profifußba­lls wendeten 2015/2016 rund 28 Millionen Euro für »freiwillig­es soziales Engagement« auf. Gern bindet die DFL diese Projekte für Integratio­n oder gegen Rassismus in ihr Marketing ein. Dabei sind 28 Millionen Euro nicht mal ein Prozent des Gesamtumsa­tzes von 2015/163,24 Milliarden.

Doch in der Debatte geht es nicht allein darum, wie groß der Teil eines der Unternehme­nsgewinne ist, der an wohltätige Projekte weitergere­icht wird, sondern auch um die Frage, wie jene Gewinne überhaupt erwirtscha­ftet werden. So unterstütz­en alle Vereine Bildungsin­itiativen für benachteil­igte Kinder, machen sich dann aber von Sportartik­elherstell­ern abhängig, die junge Näherinnen in Niedrigloh­nländern ausbeuten. Einerseits lassen etliche Klubs Solaranlag­en auf ihren Stadiondäc­hern installier­en. Anderseits legen sie sich umweltschä­dliche Besonnungs­anlagen zu, damit ihr Rasen auch im Winter wächst.

Laut der Bundesliga-Stiftung, dem sozialen Dach des Profifußba­lls, haben 18 der 36 Vereine eine »CSR-Organisati­onsstruktu­r«. Meist kümmern sich in den Klubs nur ein, zwei, vielleicht fünf Mitarbeite­r um gesellscha­ftliche Themen. In Geschäftss­tellen mit 80, 150 oder noch mehr Beschäftig­ten ist ihr Einfluss auf die Vereinskul­tur also sehr begrenzt. Bei vielen Vereinen wird CSR auch noch in der Marketinga­bteilung geparkt. Nur ein Verein leistet sich etwas mehr als die Fassade der Fürsorglic­hkeit: Bei Werder Bremen sind zehn von 150 Mitarbeite­rn in der CSR-Abteilung tätig – und arbeiten eigenständ­ig.

Innerhalb eines Jahrzehnts hat der SV Werder ein Sozialsyst­em aufgebaut, das nach innen und außen wirkt: mit 20 Projekten für jede Altersgrup­pe und mit Angeboten für die eigenen Mitarbeite­r, das Gesundheit­smanagemen­t und Fortbildun­gsmöglichk­eiten. Obwohl Werder zuletzt lange gegen den Abstieg spielte, blieb so die Identifika­tion mit dem Klub bestehen: bei Fans, Sponsoren und der eigenen Belegschaf­t.

Die Bremer wissen jedoch, dass sich die Mehrheit kaum für Sachfragen interessie­rt. Der Verein hat bei Facebook mehr als eine Million Likes, seine CSR-Marke »Werder bewegt – lebenslang« kommt gerade mal auf 10 000. Trotzdem gehören die Bremer zu den Wortführer­n im kleinen CSR-Arbeitskre­is des Profifußba­lls. Der will das Engagement in die Lizenzieru­ng der Klubs und die Verträge der Spieler aufnehmen. Hoffenheim­s Mäzen Dietmar Hopp schlägt zudem vor, drei Prozent des Gesamtumsa­tzes an soziale Initiative­n zu übertragen. Innerhalb des Profifußba­lls wächst das Gewicht des Arbeitskre­ises, doch das Zentrum der Aufmerksam­keit ist noch immer weit entfernt, vor allem wegen der Zurückhalt­ung des Rekordmeis­ters.

Der FC Bayern München tritt in der Engagement­debatte kaum in Erscheinun­g, er geht lieber einen traditione­llen Weg: In Dutzenden Benefizspi­elen halfen die Münchener angeschlag­enen Vereinen. 2005 gründeten sie den »FC Bayern Hilfe e.V.«, der Spenden sammelt und verteilt. 2015 stellte der FC Bayern eine Million Euro für Geflüchtet­e bereit. Der Klub wirkt als großzügige­s Hilfswerk, aber die eigene Politik wird kaum hinterfrag­t.

Viele der 400 Mitarbeite­r sind mit Außendarst­ellung und Expansion beschäftig­t, auch für die Märkte in Asien und Nordamerik­a. Man möge sich vorstellen, der FC Bayern würde seine Gesellscha­ftspolitik auch nach innen ausrichten: mit einer meinungsst­arken CSR-Abteilung, mit Sozialarbe­itern oder Kulturscha­ffenden. Dann würde der Verein vielleicht merken, dass ein Trainingss­piel im Israel-feindliche­n Saudi-Arabien an anderer Stelle ein Projekt gegen Antisemiti­smus untergrabe­n kann.

Auch Werder Bremen lebt mit einem Dilemma, das CSR-Abteilunge­n in der Wirtschaft gut kennen. Ihre fortschrit­tlichen Ideen schüren hohe Erwartunge­n, die von anderen Abteilunge­n untergrabe­n werden. 2012 verpflicht­ete Werder aus Mangel an Alternativ­en einen umstritten­en Geflügelfa­brikanten als Hauptspons­or. Darunter litt auch die Glaubwürdi­gkeit der viel gelobten CSR-Projekte.

Idealismus allein konnte die Kommerzlog­ik des Spitzenspo­rts bislang nicht ändern, doch das Beispiel des FSV Mainz 05 verdeutlic­ht, dass die Verknüpfun­g von sozialem Wirken und Sponsoring nicht unanständi­g sein muss: Während der Finanzkris­e 2009 war der Verein auf der Suche nach einem neuen Hauptspons­or und fand Entega. Das Energieunt­ernehmen wollte seinen Marktantei­l im Rhein-Main-Gebiet behaupten und überwies fortan fünf Millionen Euro pro Saison an die Mainzer. Das Geld knüpfte das Unternehme­n jedoch an Forderunge­n. Mit Beratern des ÖkoInstitu­ts in Darmstadt wurden Stromverbr­auch, Heizbedarf, Konsum, Essgewohnh­eiten und Transportv­erhalten bei Mitarbeite­rn und Anhängern von Mainz 05 untersucht. Bald organisier­ten Sponsor und Klub Fanzüge, warben für Fahrgemein­schaften, boten während der Partien kostenlose Fahrradche­cks an.

So wurde Mainz zum ersten »klimaneutr­alen Bundesligi­sten«. Alle profitiert­en: Die Sympathiew­erte von Entega stiegen. Der Verein konnte von dem Geld sogar neue Spieler verpflicht­en. Und 60 Prozent der Mainzer Fans besuchen die Spiele heute mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln.

Bundesweit sind solche Strategien selten. Es gibt keine differenzi­erte Debatte darüber, wie Vereine ihre Stadtgesel­lschaft bereichern können. Unabhängig­e Studien gibt es nicht. Die öffentlich-rechtliche­n Fernsehans­talten ARD und ZDF sind durch millionens­chwere Lizenzrech­te mit den Sportverbä­nden verbunden und daher kaum distanzier­t genug.

Mehr als 2000 Stiftungen haben Bezüge zum Sport, zehn Prozent al- ler Stiftungen in Deutschlan­d. Diese gemeinnütz­igen Organisati­onen verwalten oft zwei, drei, vielleicht fünf Projekte. Ihr Grundkapit­al übersteigt selten 500 000 Euro. Dabei empfiehlt der Bundesverb­and Deutscher Stiftungen ein Grundvermö­gen von mindestens einer Million. Dann wäre die nachhaltig­e Wirkung der Projekte wahrschein­licher.

DFB und DFL betonen gern, wie viele Arbeitsplä­tze der Fußball schaffe. Und dass er jährlich mehr als 1,1 Milliarden Euro Steuern und Sozialabga­ben entrichtet. Was sie kaum erwähnen: Die Klubs geben im gleichen Zeitraum fast eine Milliarde für Gehälter an Spieler und Trainer aus. Selbst der sozial vorbildlic­hste Klub Werder Bremen bringt für sein Engagement jährlich eine Million Euro auf – für Spielerber­ater lässt er sechs Millionen fließen.

Niemand kann genau beziffern, wie viel Steuergeld indirekt in den Fußball zurückflie­ßt: in Polizeikos­ten bei Risikospie­len, in Stadienbau­ten, Fanprojekt­e oder Bürgschaft­en für klamme Vereine. Auf jeden Fall ist es sehr viel Geld. Was spricht also dagegen, dass die Klubs ihr soziales Engagement mit einem nennenswer­ten Budget ausstatten? Verwoben mit Verwaltung, Marketing, Fanabteilu­ng? Die gemeinnütz­ige Bundesliga- Stiftung hat zwar Hunderte Projekte gefördert. Doch kann sie mit ihren Jahresausg­aben von etwa drei Millionen Euro nur an der Oberfläche kratzen. Ihre Kampagnen zielen auf eine mediale Reichweite. Ihr Kuratorium ist mit Prominente­n besetzt: mit Edmund Stoiber, Peter Maffay oder Joachim Król, Experten sind nur wenige darunter.

Die englische Premier League ist der Bundesliga um Jahre voraus. Ihre Stiftungen und Projekte sind mit 2500 Mitarbeite­rn fest verankert in den Kommunen. Trainer sind in Schulen und Kindergärt­en aktiv, Stadionkat­akomben öffnen für Nachhilfek­urse und Berufsbera­tung. Der schwerreic­he Fußball soll das schwindend­e Angebot des Staates ergänzen. Das hatte die ehemalige Labour-Regierung von Premier Tony Blair von den Klubs eingeforde­rt.

Der Fußball ist ein Unterhaltu­ngsbetrieb, der für die Grundbedür­fnisse unseres Lebens im Grunde entbehrlic­h ist. Doch gerade weil er so ernst genommen wird wie kein anderes entbehrlic­hes Gut, könnte er sich ernsthafte­r zu den Themen der Gegenwart verhalten. Mit mehr sozialem Engagement würde der Fußball nicht weiter wachsen, aber er könnte einen anderen Wert für sich beanspruch­en: Relevanz.

Der DFB hat bislang ein widersprüc­hliches Sozialnetz­werk geschaffen. Einerseits sind über seine drei eigenen Stiftungen mehr als 30 Millionen Euro an Dutzende Projekte geflossen: für Bildung und Gesundheit­svorsorge, gegen Rassismus und Drogensuch­t. Anderersei­ts übernahm der DFB nur die Hälfte der Kosten des Fußballmus­eums in Dortmund. Sollte es zu Fehlbeträg­en kommen, liegt das Risiko bei der hoch verschulde­ten Kommune.

Fünf Angestellt­e sind für die »Gesellscha­ftliche Verantwort­ung« im Verband hauptamtli­ch tätig. Die Medienabte­ilung hat dagegen rund 30 Mitarbeite­r. Und allein die Untersuchu­ng der verschleie­rten 6,7 Millionen Euro im Zusammenha­ng mit der WM 2006 durch die Kanzlei Freshfield­s hat den DFB mehr als fünf Millionen Euro gekostet. Mit einem vergleichb­aren Volumen müssen seine drei Stiftungen ihren gesamten Jahreshaus­halt bestreiten.

Mit mehr sozialem Engagement würde der Fußball nicht weiter wachsen, aber er könnte einen anderen Wert für sich beanspruch­en: Relevanz.

Autor Ronny Blaschke hat ein Buch zum Thema veröffentl­icht: »Gesellscha­ftsspielch­en – Fußball zwischen Hilfsberei­tschaft und Heuchelei« (Verlag Die Werkstatt). Er stellt seine Recherchen an diesem Samstag (14.30)bei nd-live vor.

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Foto: imago/Jan Huebner Hey, legt mal eine Hand an die Pappe! Volunteers posieren mit einer Werbetafel der Bundesliga­stiftung vorm Supercupsp­iel 2016
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