Velo statt Ferrari
Singapur fördert das Radfahren mit hohen Investitionen. Verleih-Firmen und ihre Geldgeber hoffen auf einen wachsenden Markt.
Denis Loh ist ein Pionier des Fahrradfahrens in Singapur. Nur weiß der 50-Jährige im orangen T-Shirt das nicht und auch den Behörden ist Loh unbekannt. Dabei repräsentiert Loh exakt den radfahrenden Wunschbürger, wie ihn der Stadtstaat neuerdings gerne hätte. Aber der Reihe nach.
Radeln war bisher die Domäne zweier gesellschaftlicher Schichten, sagt Erich Sollbock. »Radfahren war was für wohlhabende MöchtegernTour-de-France-Fahrer und für die Armen.« Der Österreicher mit weißer Kochmütze serviert an seinem »Letzten Wurststand vor dem Äquator« in Singapurs Chinatown Nürnberger, Käsekrainer und Leberkäs mit Senf, Ketchup oder Chili. Gern kommentiert gern er dabei die gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Wahlheimat. Das ändere sich aber gerade, auch wegen neuer Technologie.
Sollbock meint Firmen wie mobike, ofo oder o.bike, die seit kurzem in Singapur aktiv sind. Das Geschäftsmodell ist einfach: Über eine App bucht man per Kreditkarte ein Fahrrad auf Zeit. Der Geschäftsstart in Singapur ist nach Angaben der Firmen ein voller Erfolg. Tatsächlich aber sind sie erst so kurz auf dem Markt, dass man noch nicht wirklich beurteilen kann, ob sich die Drahteselvariante der »sharing economy« bei den Bürgern des Stadtstaates durchsetzen wird.
Fahrrad fahren ist jedenfalls in Singapur groß im Kommen. »Singapurer werden immer gesundheitsbewusster«, sagt der Orthopäde Kevin Lee, Vizepräsident der »Singapore Cycling Federation«. Zudem hätten hochwertige Fahrradmarken »den Ferrari als Statussymbol« ersetzt. Darüber hinaus sei Radfahren das neue Golfen. »Golf wird immer unpopulärer in Singapur und Radfahren die neue, alternative Sportart.«
Die Velo-Start-Ups verfügen noch über drei weitere wesentliche Zutaten für einen Erfolg: Erfahrung, finanzkräftige Investoren und beste Beziehungen zur Regierung von Singapur. Die Erfahrung haben sie in China gesammelt, wo sich jedes der drei Unternehmen schon über Nutzerzahlen im zweistelligen Millionenbereich freut. Die Investoren – darunter der berühmt-berüchtigte iPhoneHersteller Foxconn und die milliardenschwere Temasek Holdinggesellschaft der singapurischen Regierung – sehen im Bikesharing eine profitable Zukunft.
Vor allem aber wird das Radfahren in Singapur von der Regierung gefördert, die seit langem dabei ist, den Inselstaat ökologisch und energetisch in ei- ne grüne Zukunft zu führen. Das tut sie in der für Singapur typischen Weise: Bewusstseinswandel wird verordnet, mit sanften Druck den Bürgern eingebläut und mit hohen Investitionen in moderne Technologien umgesetzt. Westliche Umwelt- und Klimaschützer machen sich gerne mit einer Mischung aus Spott und Neid über Singapur als »Ökodiktatur« lustig.
Singapur hat seit langem unter den südostasiatischen Metropolen das umfassendste und beste öffentliche Nahverkehrssystem. Zudem versteht Singapur Autos nicht mehr als ultimatives Symbol für Fortschritt, wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand. Im Visier hat die für Verkehr zuständige Behörde LTA den »letzten Kilometer«. Die Singapureaner sollen, so der Plan, statt mit dem Auto mit dem Rad zur nächstgelegenen MRT-Station (U- und Hochbahn) oder zur Shopping Mall fahren.
Da kommen mobike & Co ins Spiel, die Singapurs Regierung so großartig findet, dass die LTA ihren Plan der Gründung eines eigenen Share-BikeSystems ad Acta gelegt hat. Die Stadtväter kümmern sich um die Infrastruktur: An den U- oder Hochbahnstationen und in den großen Silos des öffentlichen Wohnungsbaus werden Fahrradparklätze geschaffen. Für die »innerstädtische Konnektivität«, so die LTA, werden peu à peu das Fahrradwegnetz ausgebaut und die öffentlichen Parkanlagen durch Radwege miteinander verbunden. In Planung ist der »Coastal Adventure Corridor« als Ergänzung des schon existierenden Park Connector Network. Die Spuren des Küstenwegs würden sechs Meter breit, statt der bisherigen Breite von vier Metern für die Radtourenwege, freut sich Kevin Lee. Zudem werde es Toiletten, Informationsstände und andere Annehmlichkeiten geben.
So weit, so gut, wenn da nicht die Autofahrer wären. Der 16-jährige Ken Hing hat sich gerade ein schickes Fahrrad zugelegt, das teuer aussieht, aber umgerechnet nur 130 Euro gekostet hat. »Die Autofahrer nehmen auf Radfahrer keine Rücksicht«, klagt Hing und fügt hinzu: »Die Straßen sind nicht sicher.«
Denis Loh aus dem Arbeiterviertel Jurong East fährt trotzdem seit Jahren mit seinem eigenen, schon etwas älteren Fahrrad mit Korb am Lenker den »letzten Kilometer« zur Shopping Mall Westgate in Jurong East, wo sich zwei MRT-Linien kreuzen. Genau genommen sind es von seiner Wohnung bis zur Mall fünf Kilometer. Loh sagt: »Ich finde das bequemer, billiger und schneller als mit dem Bus.«