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Velo statt Ferrari

Singapur fördert das Radfahren mit hohen Investitio­nen. Verleih-Firmen und ihre Geldgeber hoffen auf einen wachsenden Markt.

- Von Michael Lenz

Denis Loh ist ein Pionier des Fahrradfah­rens in Singapur. Nur weiß der 50-Jährige im orangen T-Shirt das nicht und auch den Behörden ist Loh unbekannt. Dabei repräsenti­ert Loh exakt den radfahrend­en Wunschbürg­er, wie ihn der Stadtstaat neuerdings gerne hätte. Aber der Reihe nach.

Radeln war bisher die Domäne zweier gesellscha­ftlicher Schichten, sagt Erich Sollbock. »Radfahren war was für wohlhabend­e Möchtegern­Tour-de-France-Fahrer und für die Armen.« Der Österreich­er mit weißer Kochmütze serviert an seinem »Letzten Wurststand vor dem Äquator« in Singapurs Chinatown Nürnberger, Käsekraine­r und Leberkäs mit Senf, Ketchup oder Chili. Gern kommentier­t gern er dabei die gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen seiner Wahlheimat. Das ändere sich aber gerade, auch wegen neuer Technologi­e.

Sollbock meint Firmen wie mobike, ofo oder o.bike, die seit kurzem in Singapur aktiv sind. Das Geschäftsm­odell ist einfach: Über eine App bucht man per Kreditkart­e ein Fahrrad auf Zeit. Der Geschäftss­tart in Singapur ist nach Angaben der Firmen ein voller Erfolg. Tatsächlic­h aber sind sie erst so kurz auf dem Markt, dass man noch nicht wirklich beurteilen kann, ob sich die Drahteselv­ariante der »sharing economy« bei den Bürgern des Stadtstaat­es durchsetze­n wird.

Fahrrad fahren ist jedenfalls in Singapur groß im Kommen. »Singapurer werden immer gesundheit­sbewusster«, sagt der Orthopäde Kevin Lee, Vizepräsid­ent der »Singapore Cycling Federation«. Zudem hätten hochwertig­e Fahrradmar­ken »den Ferrari als Statussymb­ol« ersetzt. Darüber hinaus sei Radfahren das neue Golfen. »Golf wird immer unpopuläre­r in Singapur und Radfahren die neue, alternativ­e Sportart.«

Die Velo-Start-Ups verfügen noch über drei weitere wesentlich­e Zutaten für einen Erfolg: Erfahrung, finanzkräf­tige Investoren und beste Beziehunge­n zur Regierung von Singapur. Die Erfahrung haben sie in China gesammelt, wo sich jedes der drei Unternehme­n schon über Nutzerzahl­en im zweistelli­gen Millionenb­ereich freut. Die Investoren – darunter der berühmt-berüchtigt­e iPhoneHers­teller Foxconn und die milliarden­schwere Temasek Holdingges­ellschaft der singapuris­chen Regierung – sehen im Bikesharin­g eine profitable Zukunft.

Vor allem aber wird das Radfahren in Singapur von der Regierung gefördert, die seit langem dabei ist, den Inselstaat ökologisch und energetisc­h in ei- ne grüne Zukunft zu führen. Das tut sie in der für Singapur typischen Weise: Bewusstsei­nswandel wird verordnet, mit sanften Druck den Bürgern eingebläut und mit hohen Investitio­nen in moderne Technologi­en umgesetzt. Westliche Umwelt- und Klimaschüt­zer machen sich gerne mit einer Mischung aus Spott und Neid über Singapur als »Ökodiktatu­r« lustig.

Singapur hat seit langem unter den südostasia­tischen Metropolen das umfassends­te und beste öffentlich­e Nahverkehr­ssystem. Zudem versteht Singapur Autos nicht mehr als ultimative­s Symbol für Fortschrit­t, wirtschaft­liches Wachstum und Wohlstand. Im Visier hat die für Verkehr zuständige Behörde LTA den »letzten Kilometer«. Die Singapurea­ner sollen, so der Plan, statt mit dem Auto mit dem Rad zur nächstgele­genen MRT-Station (U- und Hochbahn) oder zur Shopping Mall fahren.

Da kommen mobike & Co ins Spiel, die Singapurs Regierung so großartig findet, dass die LTA ihren Plan der Gründung eines eigenen Share-BikeSystem­s ad Acta gelegt hat. Die Stadtväter kümmern sich um die Infrastruk­tur: An den U- oder Hochbahnst­ationen und in den großen Silos des öffentlich­en Wohnungsba­us werden Fahrradpar­klätze geschaffen. Für die »innerstädt­ische Konnektivi­tät«, so die LTA, werden peu à peu das Fahrradweg­netz ausgebaut und die öffentlich­en Parkanlage­n durch Radwege miteinande­r verbunden. In Planung ist der »Coastal Adventure Corridor« als Ergänzung des schon existieren­den Park Connector Network. Die Spuren des Küstenwegs würden sechs Meter breit, statt der bisherigen Breite von vier Metern für die Radtourenw­ege, freut sich Kevin Lee. Zudem werde es Toiletten, Informatio­nsstände und andere Annehmlich­keiten geben.

So weit, so gut, wenn da nicht die Autofahrer wären. Der 16-jährige Ken Hing hat sich gerade ein schickes Fahrrad zugelegt, das teuer aussieht, aber umgerechne­t nur 130 Euro gekostet hat. »Die Autofahrer nehmen auf Radfahrer keine Rücksicht«, klagt Hing und fügt hinzu: »Die Straßen sind nicht sicher.«

Denis Loh aus dem Arbeitervi­ertel Jurong East fährt trotzdem seit Jahren mit seinem eigenen, schon etwas älteren Fahrrad mit Korb am Lenker den »letzten Kilometer« zur Shopping Mall Westgate in Jurong East, wo sich zwei MRT-Linien kreuzen. Genau genommen sind es von seiner Wohnung bis zur Mall fünf Kilometer. Loh sagt: »Ich finde das bequemer, billiger und schneller als mit dem Bus.«

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