nd.DerTag

Wessen Schutz?

- Tom Strohschne­ider über rechten Terror und Geheimdien­ste

Ende 1980 wurden der Rabbiner Shlomo Lewin und seine Lebensgefä­hrtin Frida Poeschke erschossen. In Erlangen, in ihrer Wohnung, mutmaßlich durch einen Neonazi, angeblich ein Einzeltäte­r, der nicht mehr zur Rechenscha­ft gezogen werden konnte. In dem Fall sind bis heute viele Fragen offen, unter anderem, ob und wie sehr der politische Geheimdien­st verstrickt war. Noch immer scheint der Verfassung­sschutz vor allem darum bemüht, seine Verantwort­ung zu vertuschen. Mit Lügen, mit Hilfe von Aktengeset­zen. Mit dem Verweis auf »Quellen- und Methodensc­hutz«.

Das Muster im Fall Shlomo Lewin ist dasselbe wie im Fall der rechtsterr­oristische­n NSU-Mordserie: Es sind institutio­nelle Logiken, wegen derer neonazisti­sche Verbrechen nicht verhindert, nicht aufgeklärt, vertuscht werden. Die Unfähigkei­t, wenn nicht: die Untätigkei­t, sogar: die Mutwilligk­eit, mit der da eine Behörde agiert, hilft objektiv rechtsradi­kalen Tätern. Dazu muss solches der einzelne Beamte nicht einmal wollen. Aber: Was werden wir demnächst (nicht) erfahren darüber, wie nah der Verfassung­sschutz dran war am rechtsradi­kalen Offizier Franco A.? Wann müssen wir das nächste Mal darüber berichten, dass zwar der Geheimdien­st allerlei wusste, jedoch wieder nicht gegen rechtsradi­kale Gewalt einschritt – um angeblich sich und seine Methoden zu schützen?

Der Ruf nach Auflösung des Verfassung­sschutzes mag ausgeleier­t klingen. Ihn nicht zu erheben ist fahrlässig. Das Schweigen schützt ein System, welches Menschenle­ben zum Preis hat.

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