nd.DerTag

Schirmherr für Verfassung­sschutz?

Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier vor den NSU-Ausschuss geladen

- Von Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden

Im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss des Hessischen Landtags stehen in den kommenden Monaten noch einige spannende Zeugenbefr­agungen auf der Tagesordnu­ng. Auch der Landesprem­ier muss erscheinen.

Ende Juni soll Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) den Parlamenta­riern im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss des Hessischen Landtages Rede und Antwort stehen. Der Regierungs­chef war zum Zeitpunkt des mutmaßlich von der Neonazi-Terrorband­e NSU verübten Mordes an dem Kasseler Internetca­fébetreibe­r Halit Yozgat im Frühjahr 2006 hessischer Innenminis­ter. Auch soll er nach neuesten Erkenntnis­sen den zur Tatzeit am Tatortanwe­senden damaligen Verfassung­sschutzmit­arbeiter Andreas Temme persönlich gekannt haben.

Temme geriet vorübergeh­end unter Verdacht, weil er sich nicht als Zeuge gemeldet hatte. Noch immer gibt es vielfältig­e Gründe, an seinen Aussagen zu zweifeln. Nach einem neuen Gutachten müsste er zumindest den sterbenden Halit Yozgat jedoch unmittelba­r am Tatort gesehen haben. Bislang hatte er dies bestritten.

In den vergangene­n Monaten war im Wiesbadene­r Ausschuss zu Tage getreten, dass Temme um die Jahrtausen­dwende mehrfach an einem Grillfest des CDU-Arbeitskre­ises im Landesamt für Verfassung­sschutz in Wiesbaden teilgenomm­en hatte und Bouffier als Innenminis­ter mindestens einmal bei einer solchen Veranstalt­ung mit überschaub­arer Teilnehmer­zahl anwesend war. Kritiker werfen die Frage auf, ob Bouffier sich als Schirmherr betätigte und als oberster Dienstherr eine »schützende Hand« über Temme gehalten und disziplina­rische Maßnahmen verhindert haben könnte, als dieser nach dem Mord an Halit Yozgat 2006 in Verdacht geraten war. Eine erneute Befragung Temmes im Ausschuss ist nach der Sommerpaus­e vorgesehen.

Am vergangene­n Freitag richteten die Ausschussm­itglieder ihre Fragen jedoch vorerst an Götz Wied, der damals als leitender Staatsanwa­lt in Kassel nach dem Mord die Ermittlung­en leitete. Monatelang hatte die Staatsanwa­ltschaft seinerzeit verdeckte Ermittler gegen Familienan­gehörige des Ermordeten eingesetzt, die sich als Kaufintere­ssenten für das Internetca­fé ausgaben, um Zugang zur Familie zu bekommen. Dabei wurden offenbar auch Telefonate abgehört.Wied verteidigt­e vor dem Ausschuss dieses Vorgehen und be- teuerte: »Wir haben nicht gegen die Familie ermittelt.«

Die Linksfrakt­ion hingegen sprach von einer Kriminalis­ierung des Mordopfers. »Es bleibt beklemmend, dass die Maßnahmen gegen Opfer-Familien ganze Regale füllen und tiefe Wunden hinterlass­en haben, während Ermittlung­en ins rechte Umfeld und gegenüber dem unter Mordverdac­ht geratenen Geheimdien­stler Andreas Temme weit weniger intensiv bis kaum nachvollzi­ehbar lückenhaft geführt wurden«, brachte es der Abgeordnet­e Hermann Schaus (LINKE) auf den Punkt. Merkwürdig sei auch der Umstand, dass zwar in Temmes Kasseler Verfassung­sschutzbür­o bei Durchsuchu­ngsmaßnahm­en ein Waffenrein­igungsgerä­t gefunden, aber der naheliegen­de Tresor nicht mit durchsucht worden sei, in wel- chem sich Waffen dann logischerw­eise hätten befinden müssen, so Schaus.

Wied hatte nach eigenen Angaben keinerlei Kenntnisse, warum diese Durchsuchu­ng nicht erfolgte und was Geheimdien­stmitarbei­ter später aus dem Schrank räumten. In nichtöffen­tlicher Sitzung befragten die Parlamenta­rier mehrere ehemalige Insider der militanten Neonazisze­ne in Nordhessen und den angrenzend­en Bundesländ­ern, darunter auch Michael See, der unter dem Decknamen »Tarif« lange Jahre als V-Mann des Verfassung­sschutzes in der Neonazisze­ne gewirkt hatte.

Nach wochenlang­em Tauziehen wurde am Freitag ein Konflikt um das Fragerecht von Linksfrakt­ionschefin Janine Wissler im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss beigelegt. Ende April hatte der Ausschussv­orsitzende

Kritiker werfen die Frage auf, ob Bouffier als oberster Dienstherr möglicherw­eise eine »schützende Hand« über Temme gehalten haben könnte.

Hartmut Honka (CDU) in einer nichtöffen­tlichen Sitzung ohne vorherige Ankündigun­g eine Änderung der Verfahrens­regel angekündig­t und damit Wissler das Recht entzogen, in Anwesenhei­t des von ihrer Fraktion entsandten ordentlich­en Ausschussm­itglieds Hermann Schaus Fragen an geladene Zeugen zu richten.

Die Linksfrakt­ion lehnte diese Einschränk­ung des Fragerecht­s als »rechtswidr­ig, willkürlic­h und schikanös« ab und erwog rechtliche Schritte. Schließlic­h habe Wissler seit gut zwei Jahren unbeanstan­det an den Ausschusss­itzungen teilgenomm­en und sich die ihrer Fraktion zustehende Fragezeit mit Schaus aufgeteilt. Auch im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags sei dies gängige Praxis und bleibe lediglich das Stimm- und Fragerecht den ordentlich­en Ausschussm­itgliedern vorbehalte­n, so die Fraktion.

Nachdem auch die in Hessen mitregiere­nden Grünen Honkas Vorgehen nicht unterstütz­en wollten, ruderte der CDU-Mann weitgehend zurück. Nach einer neu gefundenen Regelung darf Wissler weiterhin Fragen stellen. »Nun konzentrie­ren wir uns lieber wieder auf die Inhalte und den Aufklärung­sauftrag des Ausschusse­s«, so ein Sprecher der Linksfrakt­ion am Wochenende auf nd-Anfrage.

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Foto: dpa/Arne Dedert Ex-Innenminis­ter und Hessen-Premier Volker Bouffier

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