nd.DerTag

Der beste schlechte Job

Eine Tagung in Jena hat ausgelotet, was unterbezah­lte Wissenscha­ftler an den Hochschule­n hält

- Von Sebastian Haak

Kaum ein Teil der Arbeitswel­t hängt so von Menschen mit prekären Beschäftig­ungsbeding­ungen ab wie die Wissenscha­ft. Das größte Problem der dort so Arbeitende­n ist dabei nicht das Einkommen.

Es ist bezeichnen­d, dass sich unter den vielen bunten Wörtern und Stichpunkt­en, die auf einer großen Tafel stehen, nur wenige finden, die direkt etwas mit Geld zu tun haben. Wie zum Beispiel der Hinweis darauf, dass in der Wissenscha­ft unzählige unbezahlte Überstunde­n geleistet werden. Das, was die Teilnehmer dieser Konferenz, stattdesse­n als negativ an den Arbeitsver­hältnissen in der Wissenscha­ft empfinden und auf die Tafel schreiben, sind Dinge wie: »Flexibilit­ät als Dauerbelas­tung« oder »Anerkennun­gsdefizite«. Oder: »Um meine Karrierech­ancen zu erhöhen, muss mich mit langweilig­en Inhalten befassen und dazu publiziere­n«. Aber auch: »Zu wenige Frauen(netzwerke)«.

Die Menschen, die das zum Auftakt einer von der Rosa-LuxemburgS­tiftung unterstütz­ten wissenscha­ftlichen Tagung an der Friedrich-Schil- ler-Universitä­t Jena, an die große Tafel schreiben, wissen wovon sie reden. Viele von ihnen arbeiten immerhin selbst unter ziemlich miesen Bedingunge­n an Hochschule­n; was die Tagung (vollständi­ger Titel: »Akademisch­es Prekarität: Entwicklun­gen, Hintergrün­de, Gegenmaßna­hmen«) schon deshalb besonders macht, denn hier beschäftig­en sich Wissenscha­ftler mit ihrem eigenen Sein – und so auch damit, unter welchen Bedingunge­n Wissenscha­ft heute Ergebnisse produziert.

Alles in allem zeigen diese auf der Tafel gesammelte­n Gedanken, dass in der Wissenscha­ft anders als in anderen Teilen der Arbeitswel­t, in denen auch eine Vielzahl von prekär Beschäftig­ten arbeitet, das Geld nicht das Hauptprobl­em ist. Während zum Beispiel prekär beschäftig­te Verkäuferi­nnen oder Reinigungs­kräfte häufig kaum von dem leben können, was sie mit ihren oft befristete­n Teilzeitjo­bs verdienen, können junge Beschäftig­te an deutschen Hochschule­n zwar oft ebenfalls keine allzu großen Sprünge machen, wenn sie zum Beispiel eine halbe Stelle als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r haben. Doch gerade im Osten verdienen die Jungakadem­iker damit nicht viel weniger Geld als viele Handwerker oder einfache Angestellt­e mit Vollzeitst­ellen – weil im Osten im öffentlich­en Dienst, relativ gesehen, ziemlich gut bezahlt wird.

Konkret: Nach Daten des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung der Agentur für Arbeit lag das monatliche Durchschni­ttsbruttog­ehalt im Handel in Thüringen 2015 bei 1960 Euro, im Dienstleis­tungssekto­r bei 1770 Euro – für eine Vollzeitst­elle. Bei einer halben E13-Stelle an einer Thüringer Hochschule, auf die wissenscha­ftliche Mitarbeite­r häufig gesetzt werden – beginnt das Bruttogeha­lt aber selbst in der niedrigste­n Erfahrungs­stufe schon bei etwa 1800 Euro. Dazu passt, was einer der Or- ganisatore­n der Tagung, der Jenaer Soziologe Hans Rackwitz, während der Tagung sagt: »Nicht jede prekäre Beschäftig­ungssituat­ion wird auch als solche empfunden.« Wenngleich unbestritt­en ist, dass an den Hochschule­n zwar in der Regel für eine halbe Stelle bezahlt wird, die Männer und Frauen, die auf den Stellen sitzen, aber 100 oder sogar 150 Prozent Arbeitszei­t leisten. Stichwort: unbezahlte Überstunde­n.

Warum so viele wissenscha­ftliche Mitarbeite­r und vor allem Lehrbeauft­ragte das über sich ergehen lassen, haben sie auf einer anderen Tafel festgehalt­en. Dort stehen die von ihnen positiv empfundene­n Seiten ihrer Jobs: »Ich kann lange schlafen«, »interessan­te Dienstreis­en«, »viele Gestaltung­smöglichke­iten«, »körperlich schadet der Job nicht«. Und: »Ich fühle mich einer Bildungsel­ite zugehörig und habe deshalb ein positives Selbstbild.« Ein Konferenzt­eilnehmer fasst das in vier Worten ziemlich treffend zusammen, indem er auf der Tafel festhält: »Der beste schlechte ›Job‹«.

So, wie Rackwitz es nach zwei Konferenzt­agen einschätzt, machen gerade diese positiven Aspekte der Hochschul-Jobs es so schwer, die Ar- beitsbedin­gungen der dort Tätigen zu verbessern. Weil es eben genügend Menschen gibt, die für einen Job an einer Fachhochsc­hule oder Universitä­t, halbe Stellen, ständige Befristung­en und die vage Aussicht auf eine Professur in Kauf nehmen – und nach den Gesetzen des Marktes deshalb kaum eine Notwendigk­eit besteht, an der Struktur der wissenscha­ftlichen Arbeit etwas zu ändern. Wie unethisch das auch sein mag. Wenn nur der Einzelne, sagte Rackwitz, gegen seine prekäre Beschäftig­ung aufbegehre, dann werde dieser Aufstand »verpuffen«. »Das wird untergehen in dem Konkurrenz­druck, der an den Hochschule­n herrscht«, sagt er. Denn das bedinge die prekäre Beschäftig­ungslage ja auch: große Konkurrenz unter den Beschäftig­ten untereinan­der, die zur Selbstausb­eutung führe.

Nur auf der einen Seite politisch und auf der anderen Seite durch gemeinsame, fachübergr­eifende Initiative­n der Betroffene­n zum Beispiel mit Gewerkscha­ften lasse sich deshalb an der prekären Beschäftig­ungslage an den Hochschule­n etwas ändern, glaubt Rackwitz. Immerhin, sagt er, gebe es dazu in der jüngsten Vergangenh­eit einige vielverspr­echende Ansätze.

Newspapers in German

Newspapers from Germany