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Macht ohne Maß

Mit der Wahl zum AKP-Parteichef vollendet der türkische Präsident Erdogan seinen Coup

- Von Jan Keetman

Fünf Wochen nach dem umstritten­en Verfassung­sreferendu­m in der Türkei tagte in Ankara der Sonderpart­eitag der Regierungs­partei AKP, um Präsident Erdogan wieder zum Vorsitzend­en zu wählen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mag sich vor den jubelnden Delegierte­n seiner Partei so wie jemand gefühlt haben, der endlich angekommen ist. Dass er sich nach dem umstritten­en Referendum vom 16. April nun auch zum Parteiführ­er wählen lassen kann, ist nicht irgendein Detail für den mächtigste­n Mann der Türkei. Seit Jahren treibt ihn die Sorge um, er könne, weil als Staatspräs­ident offiziell zur parteipoli­tischen Neutralitä­t verpflicht­et, den Einfluss auf seine AKP verlieren. Das ist nun vorbei.

Erdogan wird künftig auch die Wahllisten der Partei kontrollie­ren, die Funktionen des Staats- und Ministerpr­äsidenten in einer Person vereinen, 6 der 13 Verfassung­srichter nach Gutdünken ernennen, während die übrigen von einem Parlament bestallt werden, in dem seine AKP die Mehrheit hat. Nur selbst als Richter und Staatsanwa­lt darf er leider nicht fungieren. Doch dafür hat er sich angewöhnt, in wichtigen politische­n Prozessen als Nebenkläge­r aufzutrete­n. Der Präsident als Nebenkläge­r – da weiß ein Richter doch wohl, was er zu tun hat.

Aber wohin soll die Reise nun gehen? Von der Tribüne der Arena hängt ein riesiges Spruchband mit der an Erdogan gerichtete­n Parole: »Du wirst fortschrei­ten, die Jugend wird Dir folgen.« Wirklich? Eine Umfrage hat ergeben, dass 58 Prozent der Erstwähler bei dem Referendum mit Nein gestimmt haben. Mag auch Erdogan knapp die Hälfte seiner Landsleute hinter sich haben, der Rest ist nicht weniger entschiede­n gegen ihn.

In Kommentare­n zum Referendum war oft zu hören, dass die alte Türkei tot sei. Das ist sie keineswegs, denn sie lebt in leicht veränderte­r Form im System Erdogan fort.

Der beste Beweis ist der Kongress der AKP in Ankara selbst. Vor 16 Jahren hatte es in Necmettin Erbakans Tugendpart­ei eine Revolution gegeben. Die Gruppe der »Erneuerer« trat auf und forderte, es solle endlich Schluss sein mit der Ein-Mann-Herrschaft in den türkischen Parteien. Die Erneuerer traten aus der Tugendpart­ei aus und gründeten die AKP. Nun ist eben diese AKP noch mehr eine Ein-Mann-Partei als selbst Erbakans Tugendpart­ei. Keiner von den »Erneuerern« darf noch neben Erdogan stehen. Sein treuester Weggefährt­e, Abdullah Gül, der Erdogan erst den Sitz des Ministerpr­äsidenten, dann den des Staatspräs­identen vorgewärmt hat, ist erst gar nicht zum Kongress nach Ankara gereist.

Erdogan war angetreten, den Ausnahmezu­stand in den kurdischen Gebieten zu beenden. Das gelang, doch nun herrscht Ausnahmezu­stand im ganzen Land. Erdogan wollte die Türkei nach Europa führen. Davon redet niemand mehr.

Erst am Samstag hat Erdogan bei der Eröffnung einer neuen Universitä­t die Militärs dafür kritisiert, dass sie missliebig­e Akademiker entlassen haben. Er vergaß zu erwähnen, dass seit vergangene­n Sommer an türkischen Universitä­ten 8000 Personen aus politische­n Gründen entlassen wurden. Zwei entlassene Dozenten, Nuriye Gülmen und Semih Özakca, sind dagegen im Hungerstre­ik, seit bereits 75 Tagen!

In den Parolen der AKP ist zwar noch von Demokratie die Rede, doch immer mehr von der »starken Türkei«. Nationales Prestige war stets ein großes Verspreche­n in der türkischen Politik und Erdogan ist nun derjenige, der es angeblich richten kann.

In Wirklichke­it spielt die Türkei trotz ihrer strategisc­hen Bedeutung in der Weltpoliti­k weiter eine Nebenrolle. Auch das Verspreche­n, die Türkei bis 2023 unter die 10 größten Volkswirts­chaften zu führen, das Erdogan 2013 gab, erweist sich als unrealisti­sch.

Noch immer dümpelt die Türkei auf Platz 17 und war schon mal auf Platz 16. Um die Volkswirts­chaft Nummer 10, nämlich Kanada, einzuholen, müsste die kanadische Wirtschaft stagnieren und die türkische 7 Jahre in Folge um 10 Prozent wachsen. Ökonomen sagen der Türkei für dieses Jahr jedoch ein Wachstum deutlich unter 3 Prozent voraus.

Schon Atatürk klagte über die Last der Erwartunge­n, die auf ihm liege. Erdogan könnte es bald genauso gehen. Irgendwann reichen die Jubelfeier­n in den ihm hörigen Medien auch für seine Anhänger nicht mehr. Die Jugend wird Veränderun­g wollen. Die Frage ist nur, ob der Unmut wie die Gezi-Proteste vor vier Jahren aus einem eher liberalen Milieu kommen, wonach es im Moment aussieht, oder ob es länger dauert und eine neue radikalisl­amische Generation heranwachs­en wird, der selbst Erdogan noch zu lasch ist.

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Foto: dpa/Emrah Gurel Ein Hoch auf den Erlöser!

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