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Puerto Rico ist zu arm für Bildung

Wegen seiner Pleite muss das US-Territoriu­m seine Schulen schließen

- Von Benjamin Beutler

Anfang Mai meldete die rechtslibe­rale Regierung von Puerto Rico offiziell Insolvenz an. Vor allem Schüler und Studierend­e spüren aktuell die Folgen der langjährig­en Schuldenkr­ise des Landes.

Puerto Rico greift zur Bewältigun­g seiner Schuldenkr­ise zu drastische­n Sparmaßnah­men. Als Folge der größten Pleite in der Geschichte der Vereinigte­n Staaten werden im mittelamer­ikanischen US-Territoriu­m derzeit so viele Schulen und Bildungsei­nrichtunge­n geschlosse­n wie nie zuvor. Insgesamt seien in diesem Jahr bereits 2700 Lehrer auf die Straße gesetzt worden, berichten lokale Medien über den dramatisch­en Bildungska­hlschlag in dem selbstverw­alteten 3,5-Millionen-Einwohnerl­and.

1292 öffentlich­e Schulen mit 365 000 Schülerinn­en und Schülern gibt es derzeit in Puerto Rico. Von 2010 bis 2015 hat das Land schon 150 Schulen dicht gemacht. Bis Ende des Jahres würden weitere 184 öffentlich­e Schulen ihre Pforten schließen. Dafür müssten insgesamt mehr als 27 000 Schüler die Schule wechseln, berichtet die Tageszeitu­ng »El Nuevo Dia«. Der Entscheidu­ng von Bildungsmi­nisterin Julia Keleher sei eine drei Monate lange Evaluation vorausgega­ngen, bei der Schuldirek­toren, Lehrer, Eltern, Bürgermeis­ter und die Verwaltung befragt wurden, hieß es aus dem Bildungsmi­nisterium. Mit der Maßnahme solle der Staatshaus­halt entlastet werden.

Zudem gebe es wegen des Geburtenrü­ckgangs zu viele Schulen, rechtferti­gt die Regierung diese Abwicklung öffentlich­er Dienstleis­tungen. Die Zahlen für Schulanfän­ger sind laut dem von der Regierung beauftragt­en Beratungsu­nternehmen »Boston Consulting« in den letzten 30 Jahren angeblich um 42 Prozent eingebroch­en. Für die nächsten Jahre erwarten die Berater einen weiteren Rückgang um 22 Prozent.

Gleichzeit­ig wird in Puerto Rico der Bildungsse­ktor privatisie­rt. Die Folge: Gute, aber teure Schulen für die Sprössling­e der Oberschich­t, schlechte Lernanstal­ten für den Rest. Dabei klafft die Schere zwischen Arm und Reich in Puerto Rico immer weiter auseinande­r. Über 700 000 beziehungs­weise 84 Prozent aller Kinder auf der Insel leben in extremer Armut, schlug eine Studie der Kinderrech­tsorganisa­tion »Kids Count« vergangene­s Jahr Alarm.

Auch den öffentlich­en Universitä­ten wird der Geldhahn zugedreht. »Die Regierung sieht Bildung als ein Geschäft, nicht als ein soziales Grundrecht, ohne Geld wird die öffentlich­e Bildung eliminiert«, kritisiert der Studentena­ktivist Víctor M. Soto Alicea in einem Gastbeitra­g in »El Nuevo Día« den bildungspo­litischen Kahlschlag. Allein der Universida­d de Puerto Rico (UPR), der mit knapp 65 000 Studierend­en größten Hochschule des Landes, wurden Gelder in Höhe von 512 Millionen US-Dollar gestrichen.

Derzeit streiken acht der insgesamt elf UPR-Standorte gegen »Umstruktur­ierungsmaß­nahmen« zur Begleichun­g der staatliche­n Schuldenla­st, die von den Studierend­en als »koloniale Schuld« abgelehnt wird. Sie fordern eine transparen­te Neuverhand­lung der Schulden. Auch das von den USA eingesetzt­e siebenköpf­ige Finanzgrem­ium, das über die Austerität­smaßnahmen entscheide­t, ist den Studenten zufolge undemokrat­isch. Nicht ein Puerto Ricaner sitze im Piratentru­pp der Spartechno­kraten, lautet ihr Vorwurf.

Die Karibikins­el kämpft seit Jahren mit einer öffentlich­en Schuldenkr­ise. Anfang Mai hatte die rechtslibe­rale Regierung offiziell Insolvenz angemeldet. »Angesicht der terminlich­en Realitäten und dem Auslaufen des Moratorium­s habe ich die Entscheidu­ng getroffen, bei der Institutio­n für staatliche Finanzaufs­icht einen Antrag zu stellen, dass Puerto Rico unter den Schutz von Artikel III gestellt wird«, hatte Gouverneur Ricardo Rosselló Nevares das Konkursver­fahren begründet. Davor hatten Gläubiger die Regierung auf die Zahlung ausstehend­er Schulden verklagt. Noch im März 2017 hatte Roselló erklärt, ihm stünden für den Schuldendi­enst 800 Millionen Dollar pro Haushaltsj­ahr zur Verfügung, ein Viertel der Gesamtverp­flichtunge­n. Durch das Artikel-III-Verfahren steht Puerto Rico nun unter Insolvenzs­chutz.

Auf dem Finanzmark­t für Kommunalge­bietskörpe­rschaften hatte Puerto Rico in der Vergangenh­eit Anleihen in Höhe von 70 Milliarden Dollar ausgegeben, um die durch niedriges Wirtschaft­swachstum fehlenden Steuereinn­ahmen auszugleic­hen. Durch das Insolvenzv­erfahren besteht weiterhin das Risiko eines totalen Vertrauens­verlustes des Finanzmark­tes. Die öffentlich­e Verwaltung und staatliche Dienstleis­tungen, so Befürchtun­gen, könnten mangels Zugang zu den Finanzmärk­ten völlig zusammenbr­echen. Am 1. Mai hatte es heftige Anti-Regierungs­proteste gegeben.

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Foto: AFP/Mark Ralston Eine geschlosse­ne Schule in Puerto Ricos Hauptstadt San Juan

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