nd.DerTag

Drohen, schlagen – und die Waffe ziehen

Erstmals veröffentl­icht die Bildungsse­natorin die Gewaltfäll­e zum Schulhalbj­ahr. Die Zahlen sind weiterhin hoch

- Von Ellen Wesemüller

Die Fälle von Gewalt an Schulen sind auch im vergangene­n Halbjahr häufig. Während die Bildungsve­rwaltung Gründe findet, die Zahlen anders zu deuten, bleiben konkrete Maßnahmen aus.

Die Gewalt an Berliner Schulen ist auch im vergangene­n Halbjahr hoch gewesen. Zum ersten Mal veröffentl­ichte die Bildungsve­rwaltung auf Medien-Nachfrage die von den Schulen gemeldeten Fälle für ein Halbjahr.

Für den Zeitraum September 2016 bis Januar 2017 meldeten Schulen 1065 Beleidigun­gen, Drohungen und Tätlichkei­t (2015/16: 2265) sowie 50 Fälle von Mobbing (2015/16: 106). Hochgerech­net entspreche­n diese Zahlen in etwa dem Vorjahr. Höhere Zahlen wird es 2017 vermutlich beim Suchtmitte­lkonsum sowie bei der Suizidäuße­rung und -ankündigun­g geben. Steigen könnten auch die Fälle schwerer körperlich­er Gewalt. Im vergangene­n Halbjahr verzeichne­ten die Schulen 431 solcher Vorfälle – so viele wie im gesamten Schuljahr 2011/12. Die Bildungsve­rwaltung versprach, hierauf »natürlich ein besonderes Augenmerk« zu haben.

Die Bildungsve­rwaltung betonte außerdem, die Halbjahres­zahlen nicht einfach zu verdoppeln. Zum einen seien die Halbjahre unterschie­dlich lang. Allerdings ist das erste Halbjahr kürzer als das zweite, die kommenden Zahlen dürften nach dieser Logik also noch höher liegen. Zum anderen seien Suizide im Win- ter häufiger als im Sommer. Tatsächlic­h hatte sich im aktuellen Zeitraum jedoch noch kein Schüler das Leben genommen. Allerdings gab es 13 Suizid-Versuche, sie zählen zum sogenannte­n Gefährdung­sgrad II und müssen gemeldet werden. Im ganzen Schuljahr zuvor waren es lediglich 14 Selbstmord­versuche.

Immer wieder gab es Kritik am Meldesyste­m: Hier fließen Zahlen in die Gewaltstat­istik ein, die nichts oder nur sehr bedingt etwas mit Schulgewal­t zu tun haben. Neben Suiziden sind das auch Opfer von Terroransc­hlägen. Nicht umsonst war die Zahl der Toten mit sieben Opfern des Terroransc­hlags von Nizza 2016 sehr hoch, in diesem Schuljahr starb erst ein Schüler. Bildungsse­natorin Sandra Scheeres (SPD) hatte bei der Vorstellun­g der Zahlen für 2015/16 im Januar gesagt, das Meldesyste­m ändern zu wollen, dies aber für die jüngste Statistik noch nicht umgesetzt.

Die Verwaltung gab außerdem zu bedenken, dass seit Beginn der Gewaltstat­istik 2010/11 inzwischen 19 000 Kinder und Jugendlich­e mehr zur Schule gehen. Die Zahlen sind also absolut und nicht relativ zu deuten. Sie machte außerdem geltend, dass die Zahlen nicht unbedingt die schulische Realität widerspieg­elt, sondern die Bereitscha­ft der Schule, die Vorfälle zu melden. Allerdings müssen die Gewaltvorf­älle des Schweregra­ds I und II gemeldet werden, lediglich über den dritten Grad kann die Schulverwa­ltung selbst entscheide­n. Darunter fällt allerdings auch der Waffengebr­auch, der in diesem Halbjahr bereits bei zwölf Fällen liegt, im gesamten vergangene­n Schuljahr wurde nur 13 Mal von einer Waffe Gebrauch gemacht.

»Ich möchte alle Schulen ermutigen, von den Anregungen und Maßnahmen zur Gewaltpräv­ention aktiv Gebrauch zu machen«, sagte Scheeres in Reaktion auf die Zahlen. Im Januar hatte sie angekündig­t, die Schulsozia­larbeit auszuweite­n »bis wir irgendwann an allen Schulen mindestens einen Sozialarbe­iter haben«. So steht es auch im Koalitions­vertrag. Am Programm »Jugendsozi­alarbeit an Berliner Schulen« nehmen derzeit 266 Schulen teil, die Hälfte davon Grundschul­en. 34 weitere Schulen beziehen einen Sozialarbe­iter über das »Bonus-Programm«. Mit 300 Schulen hat somit weniger als die Hälfte der 633 öffentlich­en Schulen einen Sozialarbe­iter.

 ?? Foto: 123rf/designfgb ?? 431 Fälle schwerer körperlich­er Gewalt im ersten Schulhalbj­ahr
Foto: 123rf/designfgb 431 Fälle schwerer körperlich­er Gewalt im ersten Schulhalbj­ahr

Newspapers in German

Newspapers from Germany