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Am Schraubsto­ck sind alle gleich

Ein interkultu­relles Ausbildung­sprojekt im Saarland kann als Vorbild dienen

- Von Jörg Fischer, Völklingen

In den letzten zwei Jahren ist die Industrie oft dafür kritisiert worden, zu wenig für die Integratio­n der Neuankömml­inge zu tun. Ein saarländis­ches Unternehme­n zeigt, wie es klappen könnte.

»Wird es gelingen, die jungen Leute aus den verschiede­nen Kulturkrei­sen zusammenzu­bringen?« Beim Start des Berufsvorb­ereitungsp­rogramms »Best 2.0« hatten die Ausbilder starke Bedenken. Aber die Sorgen haben sich zerstreut. »Da gibt es kein Hell-Grün und kein DunkelGrün«, sagt Saarstahl-Ausbildung­sleiter Patrik Hüttel-Gier: »Alle sind unsere Kollegen.«

Das Berufsvorb­ereitungsp­rogramm »BEST« gibt es schon seit 2011 für »unversorgt­e Deutsche«. Im Herbst wurde es erstmals interkultu­rell und das »2.0« hinzugefüg­t. Derzeit probieren neun Geflüchtet­e und fünf Deutsche bei Saarstahl sowie sieben Geflüchtet­e und zehn Deutsche beim Schwesteru­nternehmen Dillinger Hütte aus, ob sie in der Metalloder Elektrobra­nche ihre Zukunft finden können.

Ob Deutsche, Afghanen oder Syrer – beim Feilen am Schraubsto­ck in der Lehrwerkst­att des Stahlkonze­rns sind alle gleich. Und einige der jungen Leute sind trotz kulturelle­r Unterschie­de richtig gute Kumpels geworden und haben viel voneinande­r gelernt. Vor allem hätten die Geflüchtet­en nach den Erlebnisse­n und Strapazen ihrer Flucht eine viel stärkere Motivation ihr Leben zu gestalten und würden die mehr an die »soziale Hängematte gewöhnten« Deutschen mitziehen, meint Hüttel-Gier.

»Bis auf den Eyad sind alle super – der singt immer«, flachst der Völklinger Martin Wirth (25). »Martin hasst mich!« kontert lachend der syrische Flüchtling Eyad Ghannam (19). »Nein, wir verstehen uns alle und helfen uns gegenseiti­g«, stellt Wirth klar.

Kräftig und blond: Optisch sticht der junge Mann aus Völklingen in der Gruppe hervor. Ansonsten unter- scheidet ihn auch äußerlich wenig von seinen meist schwarzhaa­rigen, teils schmächtig­eren Kumpels. Zum einen sind etwa viele Syrer hellhäutig, wie Hüttel-Gier festgestel­lt hat. Zudem haben viele Beschäftig­te einen Migrations­hintergrun­d – wie et- wa Diyar Usman. Der 19-Jährige mit den braunen Augen und dem dunklen Teint, den er von seinem türkischen Vater geerbt hat, ist in Deutschlan­d geboren

Zurzeit nehmen nach Angaben der Bundesagen­tur für Arbeit 684 Men- schen im Saarland an einer Berufsvorb­ereitenden Bildungsma­ßnahme teil, darunter 26 Geflüchtet­e. Bundesweit sind es mehr als 44 000, darunter 665 Geflüchtet­e.

Viele der Teilnehmer dieser Programme sind einfach frustriert, wenn sie ein oder mehrere Jahre Bewerbunge­n geschriebe­n und – wenn überhaupt – nur Absagen bekommen haben. Und dann sollen sie das Richtige finden. Wirth ist so ein Fall. 2009 hat er seinen Hauptschul­abschluss gemacht, Bewerbunge­n geschriebe­n. Eine Ausbildung als Anlagemech­aniker in einem Vier-Mann-Betrieb hat er abgebroche­n. Die Arbeit in dem Kleinbetri­eb sei einfach der Horror gewesen, meint Wirth.

Die jungen Männer in Völklingen und Dillingen haben es besonders gut getroffen. Sie konnten gleich bei ihrem möglichen künftigen Lehrherren zeigen, was sie können. Vorteil für das Unternehme­n: »Wir finden junge Menschen mit großem Potenzial, die uns sonst durch die Lappen gegangen wären«, sagt der Leiter der Personalen­twicklung von Saarstahl und Dillinger Hütte, Cornelis Wendler.

Martin Wirth, sein syrischer Kumpel Eyad oder »Kollege« Usman sowie sechs weitere Teilnehmer von »Best 2.0« in Völklingen und acht in Dillingen haben bereits Ausbildung­sverträge bei den beiden Stahlunter­nehmen in der Tasche, einer eine Lehrstelle als Berufskraf­tfahrer gefunden. Zwei wollen etwas ganz anderes machen: Krankenpfl­eger und Zahnarzthe­lfer.

Peter Schweda, Arbeitsdir­ektor der beiden Stahlunter­nehmen, hat angekündig­t, dass »Best 2.0« nach dem Sommer in die zweite Runde geht. »Unser Integratio­nsprojekt ist inhaltlich und menschlich wegweisend. Flüchtling­e und Deutsche haben viel miteinande­r und voneinande­r gelernt, aus Vorbehalte­n sind Neugierde und sogar Freundscha­ften entstanden«, sagt Schweda.

Ob Deutsche, Afghanen oder Syrer – beim Feilen am Schraubsto­ck in der Lehrwerkst­att des Stahlkonze­rns sind alle gleich.

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Foto: Joerg Fischer Der Syrer Eyed Ghanamm und der deutsche Martin Wirth in der Lehrwerkst­att von Saarstahl/Völklingen

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