Queer – radikal gegen Normen
»Queer«-Aktivismus hat seinen Ursprung in den USA der 1980er Jahre. Die Immunschwächekrankheit AIDS begann sich zu verbreiten, Betroffene und Risikogruppen wurden von der Gesellschaft stigmatisiert. Schwule, Lesben, Transmenschen und MigrantInnen fühlten sich in dieser Atmosphäre sowohl von der Mehrheitsbevölkerung als auch von einer als bürgerlich und weiß verstandenen Homosexuellenszene ausgegrenzt. Sie schlossen sich zusammen und nutzten die ursprüngliche Beleidigung (im Sinne von »pervers«, »schräg«) zur Selbstbehauptung. Mit schrillen Provokationen machten die radikalen AktivistInnen auf die prekäre Lage von HIV-Infizierten und sozialen Randgruppen aufmerksam und wandten sich gegen gesellschaftliche wie sexuelle Normen.
Die akademische Queer-Theorie griff diese Kritik in den 1990er Jahren auf und dekonstruierte mit Methoden des Poststrukturalismus Geschlechtsidentitäten und soziale Machtformen. Die Trennung zwischen der gesellschaftlich geprägten Geschlechtsidentität (gender) und dem biologischen Geschlecht (sex) der Menschen nahm in der Forschung vor allem bei der USPhilosophin Judith Butler eine bedeutende Rolle ein.
Heute sammeln sich unter dem Begriff »queer« alle möglichen Menschen mit von der Norm abweichenden Identitäten und sexuellen Vorlieben. Von exklusiven bürgerlichen, romantischen und heterosexuellen (mitunter auch homosexuellen) Beziehungsformen grenzen sie sich ab.
In der antirassistischen und feministischen Bewegung hat queerer Aktivismus in mehreren Ländern mittlerweile einen prägenden Einfluss, doch in den vergangenen Jahren erinnerte der Politikstil viele Linke immer mehr an eine dogmatische »Sekte«. In der queeren Szene populäre Konzepte wie »kritisches Weißsein« oder »kulturelle Aneignung« lösten auf Konferenzen, in Universitätsseminaren, auf Camps, in politischen Gruppen sowie in sozialen Beziehungen starke Konflikte aus.
Um die zum Teil als reaktionär empfundenen Entwicklungen zu kritisieren, veröffentlichte die Autorin Patsy l’Amour laLove im März 2017 das Buch »Beißreflexe – Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten«. In dem Sammelband widmen sich 27 AutorInnen der Praxis und der Theorie von queerem Aktivismus und beleuchten die Wandlung der Szene.