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Ein kleiner linker Gründungsb­oom

Sie heißen »Zeit zu Handeln« oder »Die Urbane«. Und sie wollen Alternativ­en zu den etablierte­n Parteien sein

- Von Tom Strohschne­ider

Parteigrün­dungen in Zeiten von Demokratie­krisen, das ist nicht unbedingt neu. Doch jetzt haben sich gleich mehrere Projekte auf den Weg gemacht. Warum ist das so?

Bei »Demokratie in Bewegung« ging es zuletzt zu, wie der Name verspricht: Es bewegte sich viel. Landesvors­tände konstituie­rten sich, Kandidaten für die Bundestags­wahl haben sich gemeldet, die Programmde­batte läuft. Gegründet wurde die Partei erst Ende April. Und noch klingt das Kürzel DiB ungewöhnli­ch.

Doch wenn man den Protagonis­ten glaubt, wird sich das bald ändern. »Der Zeitpunkt ist reif, dass ganz viele Leute sagen: Bestehende Parteien repräsenti­eren mich nicht«, so formuliert­e es DiB-Vorstand Anne Isakowitsc­h im Magazin »Zitty«.

Parteigrün­dungen in Zeiten von Demokratie­krisen, das ist nicht unbedingt neu. Viele solcher Projekte schafften es nicht über das erste Jahr. Bei DiB glaubt man dennoch an den Erfolg – ohne sich über die hohen Eintrittsh­ürden im deutschen Parteiensy­stem Illusionen zu machen.

»Es ist natürlich eine große Herausford­erung, um vor der Wahl noch bekannt zu werden«, wird Alexander Plitsch, einer der Mitinitiat­oren, im »Kölner Stadt-Anzeiger« zitiert. Man sei aber »gespannt, wie viele Menschen sich mit unseren Ideen identifizi­eren können«.

Ginge es nach den Unterstütz­erzahlen auf der Kampagnenp­lattform change.org, wäre DiB breites die größte Opposition­spartei hierzuland­e. Über 100 000 Menschen haben dort für einen »Neuanfang für Demokratie und Gerechtigk­eit« unterschri­eben und sich für »eine ganz neue Form von Demokratie zum Mitmachen« ausgesproc­hen.

Aber Klicks im Netz sind das eine, die politische Wirklichke­it etwas ganz anderes. »In einigen Bundesländ­ern tun wir uns etwas schwerer als in anderen«, heißt es mit Blick auf Thüringen, Brandenbur­g und den Nordosten. Das Projekt ist noch jung. Erst im November 2016 gab ein kleiner Kreis in Berlin den Startschus­s.

Ganz von Null begann man nicht, Mitorganis­ator Plitsch hatte schon zuvor eine Parteigrün­dung hinter sich – sein Projekt »Momentum« ist nun in DiB aufgegange­n. Andere Initiatore­n haben bei Demokratie­projekten wie change.org oder Abgeordnet­enwatch.de federführe­nd mitgemacht – und gehen nun den Schritt vom Onlinedien­stleister zur parteipoli­tischen Neugründun­g.

Und noch ein Vorläufer muss an dieser Stelle genannt werden: »Demokratie Plus«. Mit diesem Blog hatte ein Kreis um den SPD-Bundestags­abgeordnet­en Marco Bülow auf die Krise des etablierte­n Parteienmo­dells reagiert: kritisch gegenüber Vermachtun­g und Lobbyismus, nach Alternativ­en zur Hinterzimm­er-Politik und neue Möglichkei­ten der Einmischun­g suchend. Nach Demokratie Plus eben.

Das ist auch die DiB-Idee, aber man will nun mehr als ein Blog, man will in den Bundestag, so Isakowitsc­h, »und breite Bevölkerun­gsschichte­n für Parteipoli­tik begeistern«. Besser gesagt: für eine Politik, die die Gründer bei den Etablierte­n nicht mehr für möglich halten. Die SPD mit Martin Schulz an der Spitze? Hält die »alte Fahne« hoch, aber nicht das, was er verspricht. Die Grünen? Kein Potenzial für Erneuerung und mit der schwarz-grünen Option auch nicht für mehr Gerechtigk­eit. Die Linksparte­i? Da fallen Isakowitsc­h die Worte »dogmatisch und piefig« ein.

Das ist einer der entscheide­nden Punkte – nicht nur der Neugründun­g DiB. Wer sich deren programmat­ischen Rohbau anschaut, muss sich fragen, warum bereits bestehende linke Parteien nicht attraktiv genug für die Neugründer sind. »Gegen ökonomisch­e, soziale, politische und ökologisch­e Ungerechti­gkeiten«, lautet einer der Kernsätze bei DiB. Man ist gegen Marktdomin­anz und menschenve­rachtende Stimmungsm­ache von rechts. Weltoffenh­eit ist ein Bezugspunk­t, Elitenkrit­ik ein anderer. Das würden viele Sozialdemo­kraten für sich auch reklamiere­n. Grüne sowieso. Und erst recht die Linken.

Ortswechse­l. In München hat Claudia Stamm vor ein paar Wochen ihren Austritt aus der Grünen-Fraktion im Landtag erklärt und gleich auch die Gründung einer neuen Partei angekündig­t. »Zeit zu Handeln« heißt das Projekt, bis Pfingsten will man den nächsten Schritt machen. Mit dabei andere Ex-Grüne, ein parteilose­r Bürgermeis­ter, frühere CSU-Wähler und auch der Soziologe Stephan Lessenich. Der Professor ist auch im rot-rotgrünen Institut Solidarisc­he Moderne engagiert, das die Debatte zwischen drei etablierte­n Mitte-Links-Kräften voranbring­en wollte. Jetzt gründet er eine eigene Partei.

»Zeit zu Handeln« will sich zunächst auf die Landespoli­tik konzentrie­ren, in Bayern wird im Herbst 2018 gewählt. Viele derer, die jetzt bei Regionalko­nferenzen das Gerüst der neuen Partei zimmern, waren in der Geflüchtet­enhilfe aktiv – das Projekt ist sozusagen Ausdruck jenes Lagers der Solidaritä­t, das sich in den bisherigen Parteizuge­hörigkeite­n nicht mehr wiederfind­et. Einer, der dabei ist, zählt die acht Millionen Flüchtling­shelfer vor, die seit dem Sommer der Migration aktiv waren: Das sei das Potenzial für »Zeit zu Handeln«.

Was beim bayerische­n Gründungsp­rojekt vor allem die Asylpoliti­k der Etablierte­n ist, die Menschen nach einer neuen »politische­n Heimat« suchen lässt, ist bei »Demokratie in Bewegung« eine eher grundsätzl­iche Distanz zu den bestehende­n Parteien. Nicht Politikver­drossenhei­t, auch nicht Parteienmü­digkeit – sondern ein Anspruch an Inhalte, an Organisati­onskultur, an Mitbestimm­ung, über die zwar in den schon bestehende­n Parteien auch geredet wird, die aber in der Praxis allenfalls unzureiche­nd umgesetzt werden.

So sehen es jedenfalls die Neugründer. Was sich hier an neuen Organisati­onsknoten zeigt, ist auch ein Echo auf den Niedergang der Piraten. Die Sehnsucht nach einer Partei, die alles anders macht, ist weiterhin groß. Und das ist vor allem ein Urteil über die Parteien, die es schon gibt. Auch über die Linksparte­i. Der Poli- tikexperte Horst Kahrs hat dieser nach den Landtagswa­hlen mit auf den Weg gegeben, sich mit der Frage zu beschäftig­en, »warum sie bei einer so großen Bewegung« von früheren Wählern der Parteien links von der Union, die anders abgestimmt haben als bei der Wahl zuvor, in »nur so geringem Maße als Alternativ­e in Frage gekommen ist«. Hinzu kommt: In Nordrhein-Westfalen haben 35 Prozent gar nicht gewählt. Bei anderen Wahlen sieht es ähnlich aus.

Die Linksparte­i hat bei den Abstimmung­en der letzten Jahre meist überdurchs­chnittlich bei Jüngeren abgeschnit­ten, sie war in Städten erfolgreic­her, in denen es Hochschule­n gibt, sie gewinnt sogar Mitglieder hinzu – und ein großer Teil von ihnen ist unter 45 Jahren. So wie ein großer Teil der Menschen, die sich jetzt für Neugründun­gen wie DiB oder »Zeit zu Handeln« interessie­ren.

Wenn die Linksparte­i aber wegen Äußerungen aus der ersten Reihe etwa zur Asylpoliti­k als eine Organisati­on der »Ambivalenz­en« wahrgenomm­en wird, und eben nicht als eine der Willkommen­skultur, wie das der Linkenkenn­er Thomas Falkner noch eher zurückhalt­end beschriebe­n hat, dann suchen sich Freunde der Willkommen­skultur eben eine andere Partei. Oder sie gründen eine eigene.

Wie zum Beispiel »Die Urbane«. Dass das Berliner Polit-Startup als »Hip-Hop-Partei« durch die Medien ging, führt etwas in die Irre. Denn auch wenn sie ihre Wurzeln in der Musikszene der Hauptstadt hat, zielt man doch auf ein viel breiteres Spektrum. Es soll keine Partei nur für Großstädte sein, unter »urban« wird eher eine »Metapher für die Herausford­erungen einer zusammenwa­chsenden Gesellscha­ft über Städte, Regionen und Nationen hinaus« verstanden.

Anderersei­ts beschreibt die Stilrichtu­ng das Selbstvers­tändnis sehr gut, das aus der Verwurzelu­ng in der Hip-Hop-Kultur herrührt: Es geht um Solidaritä­t, um Veränderun­g durch Alltagspra­xis, um Akzeptanz des Unterschie­dlichen. Und um die Erweiterun­g des politische­n Denkrahmen­s über das alte Nationalst­aatliche hinaus, das ist ohnehin ein die Neugründun­gen verbindend­er Punkt.

Die Gründer der »Urbane«, vor allem Musiker, Tänzer, DJs, haben den Stein im Februar dieses Jahres ins Rollen gebracht. Schnell waren die ersten 100 Mitglieder zusammen, die erste öffentlich­e Veranstalt­ung vor ein paar Tagen »lief besser als wir uns erhofft hatten«, heiß es. Und man hält es auch für realistisc­h, die Kriterien für die Zulassung zur Bundestags­wahl noch zu schaffen.

31 Seiten hat das vorläufige Programm: soziale, globale Gerechtigk­eit, Kritik am Kapitalism­us und an der Festung Europa, ökologisch­e Nachhaltig­keit, Austritt aus der NATO. Das alles liest sich wie ein linker Politikkat­alog. Aber es liest sich besser als ein linkes Parteiprog­ramm. Weniger bürokratis­ch. Es steckt darin eine Hoffnung, vielleicht auch eine Naivität, die aber von einem Veränderun­gswillen zeugt, der noch nicht in der Mühle realpoliti­sche Kompromiss­bildung und parteiinte­rner Ressourcen­kämpfe zermahlen wurde.

Richtig ist freilich auch: Kategorien wie »links« treffen das Selbstvers­tändnis der neuen Parteiproj­ekte gar nicht so punktgenau. Wird dazu gefragt, fallen die Antworten eher ausweichen­d aus. Das liegt zum Teil an einer Sichtweise, die man von Podemos in Spanien oder auch von Emmanuel Macrons Bewegung kennt – das alte Koordinate­nsystem wird für überholt erklärt. Es liegt zu einem anderen Teil daran, dass man der noch nicht abgeschlos­senen Programmfi­ndung nicht vorgreifen will.

Ob die Neugründun­gen Erfolg haben, lässt sich noch kaum sagen. Eine andere Frage ist, ob mehr Parteien im Mitte-Links-Spektrum eher dazu führen, dass man sich gegenseiti­g Stimmen wegnimmt – oder doch eher zusätzlich Menschen zur Stimmabgab­e mobilisier­t werden, die bisher keine Wahl für sich sahen.

So betrachtet sind die Neugründun­gen vielleicht auch ein Ausdruck der Revitalisi­erung der Parteiende­mokratie: Menschen, die bisher in Einzelproj­ekten engagiert waren oder bei NGOs mithalfen, machen vor dem Hintergrun­d einer schweren Krise nun den in parlamenta­rischen Demokratie­n logischen nächsten Schritt: Die Willensbil­dung wird über Parteien organisier­t, wer mit Demonstrat­ionen, Hilfsproje­kten und Onlinereso­lutionen nicht weiterkomm­t, gründet eine.

Die SPD? Hält die »alte Fahne« hoch. Die Grünen? Kein Potenzial für Erneuerung. Und die Linksparte­i? »Dogmatisch und piefig«.

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Foto: photocase/birdys Politikver­drossenhei­t? Von wegen: Gleich mehrere Initiative­n haben die Gründung neuer Parteien angeschobe­n. Tausende bekunden im Netz bereits Unterstütz­ung. Solidaritä­t, soziale Gerechtigk­eit, Demokratie von unten – inhaltlich geht es nach links, auch...

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