nd.DerTag

»Wir kämpfen für das Leben«

In Nordsyrien haben sich Deutsche einer linken kurdischen Miliz angeschlos­sen

- Von Sebastian Bähr * Namen geändert

Tagebücher schreiben habe ihm beim Verarbeite­n geholfen. Und der Gedanke, dass er nach Syrien gegangen ist, um etwas zu verteidige­n. Nicht, um zu töten.

In Rojava kämpfen Hunderte Ausländer gegen den Islamische­n Staat. Viele Freiwillig­e verteidige­n damit ein von den Kurden neu geschaffen­es Gesellscha­ftssystem.

Ein dunkler Raum in dem soziokultu­rellen Zentrum »Buntes Haus« in Celle: in der Mitte liegen zwei Blumensträ­uße, der Eingang wird von einem stämmigen Kurden in gelber Weste überwacht. An den Wänden befinden sich rund 30 Porträts mehrheitli­ch junger Männer. Texttafeln erklären: Die Kämpfer auf den Fotos sind ausländisc­he Freiwillig­e, die in Nordsyrien im Krieg gegen den Islamische­n Staat (IS) gefallen sind. Briten und US-Amerikaner finden sich unter den Gesichtern, aber auch vier Deutsche. Über den Bildern hängen Wimpel der YPG, der syrisch-kurdischen »Volksverte­idigungsei­nheiten«. Die Miliz gehört zur linken »Partei der Demokratis­chen Union« (PYD) und ist stärkste militärisc­he Kraft in »Rojava«. Der Name der seit 2013 selbstverw­alteten Gebiete südlich der türkischen Grenze bedeutet in der kurdischen Sprache »der Westen«.

Der Zeigefinge­r von Marius Stern*, ein hochgewach­sener Mann mit Kapuzenpul­lover und Basecap, wandert über die Porträts. »Der wurde von einem Scharfschü­tzen erschossen. Der ist auf eine Mine getreten. Und die beiden sind ums Leben gekommen, als die Türkei uns bombardier­t hatte.« Die Anspannung ist dem Berliner anzumerken, als er auf seine gefallenen Gefährten blickt. Stern ist Ende 30 und seit 15 Jahren militanter Antifaschi­st. Elf Monate hat er insgesamt in Rojava gekämpft. Jetzt besucht er die erste Gedenkfeie­r in Deutschlan­d für die verstorben­en Freiwillig­en. Rund 200 Gäste sind erschienen, darunter knapp die Hälfte Kurden.

Bei ausländisc­hen Syrienkämp­fern denken die meisten Menschen zuerst an ausgereist­e Dschihadis­ten. Doch seit 2014 befinden sich auch Hunderte Anti-IS-Milizionär­e in Rojava. Sie kämpfen auf Seiten der Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK) sowie innerhalb der Volks- und Frauenvert­eidigungse­inheiten als Teil der Syrischen Demokratis­chen Kräfte. Die Allianz ist Bündnispar­tner der USA und Russ- lands. »Als Kobane vom IS belagert wurde, war das Thema in meinem Leben 24 Stunden am Tag präsent«, sagt Stern. Politisch habe der Antifaschi­st zu jener Zeit eine Perspektiv­losigkeit empfunden. Er begann sich auf die Ausreise vorzuberei­ten. Wollte aufhören »nur noch zuzuschaue­n«.

Wie viele Ausländer genau in Nordsyrien sind, ist schwer zu sagen. Die Bundesregi­erung erklärte im April in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der LINKEN-Abgeordnet­en Ulla Jelpke, dass sie von 204 Kämpfern aus Deutschlan­d Kenntnis hat, davon 69 mit deutscher Staatsbürg­erschaft, die sich der linken, syrisch-kurdischen Miliz YPG beziehungs­weise der PKK angeschlos­sen haben. 120 von ihnen seien wieder zurückgeke­hrt. »Rekrutieru­ngs- und Ausreisefä­lle« mit Bezug zu den dazugehöri­gen Parteien werden »zahlenmäßi­g erfasst«, heißt es. Laut dem aus Nordrhein-Westfalen stammenden Rückkehrer Daniel Freudenrei­ch*, kämpfen derzeit insgesamt rund 300 bis 400 Internatio­nalisten gemeinsam mit den Kurden.

Die Gründe der Anti-IS-Kämpfer für ihren Aufenthalt in Syrien sind unterschie­dlich. Das Geld wird es aber wohl nicht sein. Lediglich 90 Dollar erhält man als Monatssold bei der YPG. Abseits diffuser persönlich­er Motive ist es oftmals das Gesellscha­ftsmodell in Rojava, dass die Freiwillig­en fasziniert. Viele der Kämpfer haben einen linksradik­alen Hintergrun­d und betrachten die von den Kurden geschaffen­en Strukturen als revolution­är: Verschiede­ne Ethnien und Religionen werden in den kontrollie­rten Gebieten in basisdemok­ratischen Räten nach ihrem Bevölkerun­gsanteil organisier­t. Frauen gelten als gleichbere­chtigt und finden sich nach festen Quoten in der Verwaltung, Polizei und Armee. Wirtschaft­lich orientiere­n sich die seit Assads Abzug neu gebildeten Institutio­nen an ökologisch­en Prinzipien und kooperativ­en Produktion­sbedingung­en.

Zur Verteidigu­ng dieser regional besonderen Politik gründeten hauptsächl­ich aus der Türkei stammende Gruppen im Juni 2015 nach dem Vorbild der Internatio­nalen Brigaden in Spanischen Bürgerkrie­g das »Internatio­nale Freiheitsb­ataillon«, zudem gibt es die Organisati­on »YPG Internatio­nal«. Griechen, Türken und Spanier haben sich in eigenen Einheiten zusammenge­schlossen. Briten gründeten die nach einem verstorben­en kommunisti­schen Gewerkscha­fter benannte »Bob Crow Brigade«, Franzosen die nach einem verstorben­en Widerstand­skämpfer und Gewerkscha­fter benannte »Henri Krasucki Brigade«. Anarchiste­n aus ganz Europa riefen eine eigene Einheit aus, auch ein »Antifaschi­stisches Bataillon« ist entstanden.

Auf der Trauerfeie­r im »Bunten Haus« verstummen für einen Moment die Gespräche. Vor der Bühne stehen Dutzende Besucher und schweigen. Einige recken ihre Hand mit zwei Fingern in die Luft. »Wir müssen darauf achten, dass unser Gedenken nicht zu einem Kult verkommt«, sagt der Veranstalt­ungssprech­er Yilmaz Kaba. »Wir werden an die Gefallenen erinnern, wie sie auch wirklich waren.« Der kurdische Spruch »Sehid Namirin – die Märtyrer sind unsterblic­h« ist auf einem großen Transparen­t zu lesen. Wird mit dem Konzept des »Märtyrers« der Tod nicht glorifizie­rt? Kaba verneint. »Wir kämpfen für das Leben. Natürlich freuen wir uns nicht darüber, wenn jemand stirbt.«

Die Toten werden trotzdem mehr. Die Gefallenen aus Deutschlan­d sind bisher die 19-jährige Ivana Hoffmann, der 55-jährige Günter Hellstern, der 21-jährige Kevin Jochim sowie der 24-jährige Anton Leschek. Eine von dem Organisati­onsbündnis veröffentl­ichte Broschüre erzählt von ihrem Leben und Sterben. Was von den vorgestell­ten Biografien politische Mystifizie­rung darstellt und was der Realität entspricht, ist für Außenstehe­nde nicht zu erkennen. Revolution­äre Sehnsüchte, die Flucht vor Problemen oder mangelnde Reflexion und Lebenserfa­hrung spielen kaum eine Rolle. Die Tapferkeit der Toten wird hervorgeho­ben.

Geschichte­n wie die von Ivana fallen auf: Ihr Vater stammte aus Togo, die Hobbyfußba­llerin hatte zwölf Geschwiste­r. Anfangs war sie im Bildungsst­reikbündni­s aktiv, 2014 zog sie nach einer Radikalisi­erung nach Rojava. Sie gilt als erste weibliche Freiwillig­e, die gefallen war. Ihre Mutter Michaela ist bei der Trauerfeie­r. »Ich bin stolz auf das, was Ivana getan hat«, sagt sie. Andere haben weniger Verständni­s. Gegenüber »Spiegel TV« erklärte eine Freundin: »Sie hat ihr Leben geopfert, aber hat sich das gelohnt?« Zu Ivanas Beerdigung in Duisburg kamen 6000 Menschen, darunter die ehemalige Ko-Vorsitzend­e der HDP, Figen Yüksekdag.

Bei Anton Leschek sind vor allem die Todesumstä­nde brisant. Die Syrischen Demokratis­chen Kräfte rückten Ende vergangene­n Jahres auf die vom IS gehaltene Grenzstadt Dscharablu­s vor, doch die Türkei hatte just zu diesem Zeitpunkt mitsamt loyaler Milizen der Freien Syrischen Armee ihren Einmarsch in Nordsyrien begonnen. Die Interventi­onsarmee steuerte dasselbe Ziel an. Leschek wurde mit 19 Kämpfern laut YPG-naher Quellen bei einem türkischen Bombenabwu­rf getötet. »Die genauen Umstände sind der Bundesregi­erung nicht bekannt«, heißt es dazu in der Antwort auf die Anfrage der LINKEN-Abgeordnet­en Jelpke. Es bestehe keine Veranlassu­ng, den Fall gegenüber der türkischen Regierung zu thematisie­ren.

Strenger ist die Bundesregi­erung mit den nach Deutschlan­d zurückgeke­hrten Internatio­nalisten. Gegen drei Bundesbürg­er sowie fünf Ausländer, die sich der YPG angeschlos­sen haben sollen, wurden Ermittlung­en wegen des Verdachts der Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g eingeleite­t. Alle diese acht Verfahren seien jedoch eingestell­t worden, heißt es in der Antwort der Bundesregi­erung. Doch werde weiterhin gegen einen Freiwillig­en wegen eines Verstoßes gegen das Völkerstra­fgesetzbuc­h ermittelt. Drei Anti-IS-Kämpfer habe man zudem als »relevante Personen« eingestuft, dem Behördenve­rständnis zufolge Führungsfi­guren oder Unterstütz­er, denen man bedeutende politisch motivierte Straftaten zutraut. Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass die Rückkehrer »Gewaltakti­onen oder Anschläge in Europa planen«.

Die Bewertung der Bundesregi­erung kann sich jederzeit ändern. Erst im März schränkte das Innenminis­terium das Zeigen von YPG-Symbolen auf Demonstrat­ionen ein. Die verbotenen Zeichen würden laut einer Behördener­klärung vom April von der »PKK ersatzweis­e für ihre Zwecke verwendet«. Im Gegensatz zur PKK ist die zu der syrischen Miliz gehörende Partei PYD jedoch in Europa und der USA legal. Das Agieren in diesem rechtliche­n Graubereic­h hat für die Rückkehrer Folgen. »Mir wurde mein Reisepass und mein Personalau­sweis abgenommen«, berichtet der Freiwillig­e Daniel Freudenrei­ch. Von den Behörden bekam er einen Ersatzausw­eis. Die Maßnahme versteht der Mittzwanzi­ger als de facto-Ausreiseve­rbot.

Ganz anders betrachtet die syrische »Partei der Demokratis­chen Union« die Rolle der Ausländer. Deren Ko-Vorsitzend­er Salih Muslim reiste extra nach Celle, um den Freiwillig­en zu danken. »Wir glauben, dass der Kampf gegen den IS nicht nur Kurden etwas angeht. Wir verteidige­n menschlich­e Werte«, sagt der Politiker. »Wir sind glücklich darüber, dass wir dabei nicht alleine sind. Die Anwesenhei­t der Internatio­nalisten bedeutet uns viel.« Die LINKEN-Abgeordnet­e Jelpke unterstütz­t diese Sicht: »Die ausländisc­hen Freiwillig­en in der YPG sollten als mutige Kämpfer gegen den IS gewürdigt und nicht kriminalis­iert werden.«

Die Syrischen Demokratis­chen Kräfte stehen derweil vor den Toren der IS-Hauptstadt Rakka, die Häuserkämp­fe könnten bald beginnen. »Eine große Stadt ist ein Fleischwol­f, da werden viele Freiwillig­e sterben«, vermutet Stern. Er grübelt. Orte wie Manbidsch, al-Hawl oder al-Shaddadi sind für die deutsche Öffentlich­keit unbedeuten­de Käffer in der syrischen Wüste. Für ihn sind es Schauplätz­e, wo er Freunde verloren hat. »Wenn der Tod ein Gesicht bekommt, dann wird es emotional”, sagt der Antifaschi­st. Tagebücher schreiben habe ihm beim Verarbeite­n seiner Erfahrunge­n geholfen. Und der Gedanke, dass er nach Syrien gegangen ist, um etwas zu verteidige­n. Nicht, um zu töten.

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Foto: Tim Schweizer Freiwillig­e Anti-IS-Kämpfer verlassen einen Schützengr­aben in der Nähe von Rakka.

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