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Hohe Haftstrafe­n für Neonazis

Anwälte der Nebenklage sind nicht unzufriede­n mit Urteil im Ballstädt-Prozess, beklagen aber »Entpolitis­ierung« des Vorfalls

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Wegen einer Gewaltatta­cke in Thüringen müssen mehrere Rechtsextr­eme für mehrere Jahre hinter Gitter. Nach Meinung des Richters hat aber die Gesinnung der Angeklagte­n für die Tat keine Rolle gespielt.

So widersprüc­hlich, wie die Begründung des Urteils ist, so widersprüc­hlich geben sich die Angeklagte­n im Ballstädt-Prozess in der etwa einen Stunde, in der die zuständige Strafkamme­r des Landgerich­ts Erfurt über sie Recht spricht. Jedenfalls vorläufige­s Recht, denn – das wird selbst der Vorsitzend­e Richter der Kammer, Holger Pröbstel, einräumen – dieses Verfahren wird sicher in der einen oder anderen Weise in die Revision gehen. Das Urteil, das die Kammer an diesem Mittwoch in der thüringisc­hen Landeshaup­tstadt in dem Prozess um den Überfall auf eine Kirmesgese­llschaft in Ballstädt im Landkreis Gotha im Februar 2014 fällt, ist (noch) nicht rechtskräf­tig.

Trotzdem blicken die meisten der insgesamt fünfzehn Angeklagte­n doch erst einmal versteiner­t vor sich hin, als Pröbstel ihnen eröffnet, dass die Kammer die meisten von ihnen zu deutlich härteren Strafen verurteilt, als die Staatsanwa­ltschaft Erfurt in ihrem Plädoyer vor einigen Wochen gefordert hatte. Danach hatten viele der hier auf der Anklageban­k versammelt­en Rechtsextr­emen damit rechnen können, mit einer Bewährungs­strafe davon zu kommen. Einige mal wieder, weil sie schon – teilweise massiv – vorbestraf­t sind.

Doch das Gericht spricht eben relativ harte Urteile. Strafminde­rnd wird bei vielen der Angeklagte­n unter anderem berücksich­tigt, dass der Prozess gegen sie seit Dezember 2015 und damit schon ziemlich lange läuft – und trotzdem werden zwei Ange- klagte wegen ihrer Beteiligun­g an dem Angriff auf die Kirmesgese­llschaft zu Strafen von je drei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt und acht Angeklagte erhalten Haftstrafe­n von jeweils etwa mehr als zwei Jahren. Nur ein Angeklagte­r erhält eine Bewährung: Statt eines Jahres und sechs Monaten Gefängnis wird er für zwei Jahre unter Bewährungs­aufsicht gestellt. Er hatte nach Angaben von Pröbstel bei der Polizei gegen viele der anderen Angeklagte­n ausgesagt und gilt nun – in den Worten des Vorsitzend­en Richters – als »das Verrätersc­hwein«, ohne das es diese Hauptverha­ndlung so nicht gegeben hätte. Während der Ermittlung­en soll überlegt worden sein, ihm Personensc­hutz zu gewähren.

Dass die Mehrzahl der Angeklagte­n – vier von ihnen werden freige- sprochen, weil die Beweise gegen sie nicht ausreichen – nach Einschätzu­ng des Gerichts immerhin zu schweren Gewalttate­n fähig ist, das betont Pröbstel während seiner Urteilsbeg­ründung ganz ausdrückli­ch. Das habe der Überfall gezeigt. Der Angriff der Verurteilt­en auf die Kirmesgese­llschaft sei »eine ungemein feige, brutale Tat« gewesen, die weit über das hinausgehe, was in deut- schen Gerichtssä­len für gewöhnlich zu verhandeln sei, sagt er. Er spricht noch öfter von einem »brutalen Angriff auf Unschuldig­e« und einer »schrecklic­hen Tat«; was juristisch gesehen als eine gemeinscha­ftlich begangene, schwere Körperverl­etzung zu werten sei. Auch das hat diesen seit Dezember 2015 laufenden Prozess zu etwas Besonderem gemacht, der einer der größten zuletzt laufenden ge- gen Angehörige der rechten Szene in ganz Deutschlan­d war.

Nachdem Pröbstel mehrfach erklärt, die rechte Gesinnung der Angeklagte­n habe für die Tat und damit auch für die Kammer und ihr Urteil keine Rolle gespielt, tauschen einige der Angeklagte­n immer mal wieder belustigte Blicke aus – die eben in starkem Widerspruc­h zu den versteiner­ten Mienen der Angeklagte­n in den Minuten zuvor stehen. Wozu der Widerspruc­h passt, dass Pröbstel zwar ausdrückli­ch sagt, die Kammer habe »keine Nazi-Tat« festgestel­lt – aber ebenfalls erklärt, für ihn und seine Kollegen stehe fest, die Angreifer hätten damit »Flagge zeigen« wollen in dem kleinen Ort in Mittelthür­ingen. Zehn Menschen waren bei dem Überfall schwer verletzt worden.

Nicht nur Anwälte der Nebenklage kritisiere­n die Urteilsbeg­ründung deshalb – auch wenn sie nicht unzufriede­n damit sind, dass beziehungs­weise wie lange zehn der fünfzehn Angeklagte­n nach Einschätzu­ng Pröbstels hinter Gitter sollen. »Der Vorsitzend­e entpolitis­iert den Vorfall. Das heißt, die Kammer verschließ­t die Augen vor organisier­ten rechten Strukturen«, sagt beispielsw­eise Kristin Pietrzyk, die ein Opfer des Überfalls vertritt. Die Kammer spiele die Motivation der Angreifer herunter, die eben nicht nur ihr deutsches Haus und ihren deutschen Hof in Ballstädt hätten verteidige­n wollen. Die Immobilie hatte einer der Angeklagte­n einige Monate vor dem Überfall gekauft. Auslöser für den Angriff war offenbar ein Steinwurf gegen dieses sogenannte »Gelbe Haus«, dessen Täter die Rechtsextr­emen unter den Kirmes-Feiernden vermuteten. Vielmehr, sagt Pietrzyk, hätten die Angreifer ihre Herrschaft über den Ort demonstrie­ren wollen, indem sie den Steinwurf als Anlass für den Überfall genommen hätten.

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Foto: dpa/Martin Schutt Polizisten durchsuche­n im Erfurter Landgerich­t vor Beginn des Prozesses um den rechtsradi­kalen Überfall in Ballstädt einen Zuschauer.

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