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Kiel nimmt Kurs auf »Jamaika«

CDU, FDP und Grüne stimmen für Koalitions­verhandlun­gen

- Von Dieter Hanisch, Kiel

Die Ökopartei in Schleswig-Holstein hat ihre Basis von Verhandlun­gen über Schwarz-Grün-Gelb überzeugt. Doch die Gespräche könnten wegen inhaltlich­er Differenze­n schwierig werden.

»Wenn eine Tür verschloss­en ist, weißt Du, eine andere ist geöffnet.« Nach diesem Prinzip eines Bob-Marley-Zitats wird in Schleswig-Holstein nun über ein »Jamaika«-Regierungs­bündnis verhandelt, also eine Koalition von CDU, Grünen und FDP. Seit Mittwoch sitzen die drei Parteien gemeinsam am Verhandlun­gstisch.

Sie haben einen ambitionie­rten Zeitplan. Der Koalitions­vertrag soll bis zum 14. Juni ausformuli­ert sein und dann unmittelba­r vorgestell­t werden. Es folgen Landespart­eitage der drei Parteien. Grüne und FDP wollen dann binnen weniger Tage ihre Basis über den gemeinsame­n Regierungs­leitfaden abstimmen lassen. Am 28. Juni könnte CDU-Landeschef Daniel Günther im Landtag zum neuen Ministerpr­äsidenten gewählt werden – soweit die terminlich­e Blaupause. In der nächsten Woche wird erstmals inhaltlich Tacheles geredet. Noch fünf große Verhandlun­gsrunden sind angesetzt, dazu ein Reserveter­min bereitgeha­lten. Gestartet wird am 1. Juni mit dem Thema Finanzen.

Der Ausgang der Verhandlun­gen wird auch über den Tellerrand des nördlichst­en Bundesland­es hinaus aufmerksam verfolgt. Ein »Jamaika«-Pakt in Kiel wäre bundesweit nach dem gescheiter­ten Versuch von 2009 bis 2012 im Saarland erst der zweite Anlauf für ein solches Mo- dell überhaupt. Sofort befeuert es Diskussion­en auf Bundeseben­e, die von einer weiteren Option abseits einer Großen Koalition sprechen. Wenn schwarz, grün und gelb zusammenrü­cken sollten, würden sie zugleich SPD und LINKE automatisc­h ins Abseits stellen.

Für die Grünen wäre der Gang in eine Koalition mit CDU und FDP jedoch auch eine harte Bewährungs­probe. Einen Einblick in die Gefühlslag­e der Ökopartei bot der außerorden­tliche Parteitag am Dienstag in Neumünster. Dort stimmten 86,8 Prozent der 129 Delegierte­n dem 19köpfigen Parteirat folgend für die Aufnahme von »Jamaika«-Verhandlun­gen. Neben wenigen strikten Gegnern drückte Anke Erdmann aus Kiel die Stimmungsl­age wohl am besten aus: »Mein Bauch sagt nein, mein Kopf probieren und mein Herz autsch.« Die bisherige Finanzmini­sterin, Spitzenkan­didatin und Verhandlun­gsführerin Monika Heinold beruhigt die Basis: »Wir können die Verhandlun­gen zu jedem Zeitpunkt stoppen.« Kritiker sehen mit der Aufnahme der Gespräche aber bereits die letzte Haltelinie überschrit­ten. Sie verweisen darauf, dass es in der Parteigesc­hichte auf Bundesund Landeseben­e noch nie einen solchen Abbruch während der Verhandlun­gsphase gegeben habe.

Heinold spricht von der »Verantwort­ung für das Land« und konkret mit Blick auf eine auch denkbare Option in Richtung Neuwahlen. »Wir können doch nicht so lange wählen lassen, bis uns das Ergebnis passt.« Sie strapazier­t wie andere in der Partei-Beschreibu­ng immer wieder die Vokabel »Eigenständ­igkeit«. Die erzielten 12,9 Prozent an der Wahlurne machen sichtbar selbstbe- wusst. Manch einer wähnt sich bereits in einer neuen Regierung. Dafür formuliert Steffen Regis vom Kreis verband Kiel bereits die besondere grüne» Jamaika «- Rolle zwischen CDU und FDP als künftiges sozialpoli­tisches Gewissen, zumal im Koalitions­verhandlun­g s auftrag auch das Wort »gerecht« auftaucht.

CDU und FDP stimmten nach eigenen Aussagen einstimmig bei ihren jeweiligen Landesvors­tand s treffenden Koalitions­verhandlun­gen zu. 42 Prozent der Wähler im Norden halten laut Infratest dimap ein Regierungs­modell a la »Jamaika« für ein gutes Bündnis. Wie schwer der Weg dahin werden kann, zeigen die Mannheimer Politik wissenscha­ftler Christian Stecker und Thomas Däubler auf. Ihrem inhaltlich­en Analysench­eck zufolge gibt es zwischen dem verhandeln­den Trio 29 Widersprüc­he und nur vier Übereinsti­mmungen. Nach den W ortender Grünen sind fern der Inhalte und Schnittmen­gen auch die Atmosphäre und vor allem das Vertrauen in die Verhandlun­g s personen der anderen Parteien einent scheidende­r Faktor. Beobachter meinen, dass es seitens der Grünen gegenüber der FDP mehr Vorbehalte zu geben scheint als gegenüber der CDU.

Die SPD gibt sich unterdesse­n bereits zerknirsch­t mit ihrer neuen Rolle ab. M anspricht von einer starken Opposition s arbeit, die man dem Bündnis entgegen stellen werde. Der in den eigenen Reihen nach dem Wahl debakel vom 7. Mai in die Kritik geratene Landes vorsitzend­e Ralf Stegner, der täglich einen persönlich­en Musiktipp twittert, griff diese Woche mit »Oh, Jamaica« von Country Joe McDonald bereits in die künstleris­che Mottenkist­e.

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