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Wahlkampfh­ilfe aus den USA

Beim Evangelisc­hen Kirchentag diskutiert­e Angela Merkel mit Ex-Präsident Barack Obama

- Von Marina Mai

Bundeskanz­lerin Angela Merkel musste sich beim Kirchentag kritischen Fragen zu Abschiebun­gen nach Afghanista­n stellen. Ihren Diskussion­spartner Barack Obama hatte sie aber auf ihrer Seite.

Tosender Applaus brach aus, als er die Bühne betrat. Der frühere US-Präsident Barack Obama wurde gefeiert wie ein Messias. Mit seiner bloßen Anwesenhei­t hat er am Donnerstag 70 000 Kirchentag­sbesucher vor dem Brandenbur­ger Tor in einen Rauschzust­and versetzt. Die hatten einen langen Fußmarsch durch die für Verkehrsmi­ttel aller Art abgesperrt­e Berliner Innenstadt, einen riesigen Umweg durch mehrere Security-Kontrollen im Großen Tiergarten und eineinhalb Stunden Stehen im dichten Gedränge in Kauf genommen, um den charismati­schen Politiker live zu erleben. Gemeinsam mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel diskutiert­e er über internatio­nale Politik.

Als wichtigste­s Ergebnis seiner achtjährig­en Präsidents­chaft nannte Obama, rund 20 Millionen US-Amerikaner­n eine Krankenver­sicherung gegeben zu haben. Darauf sei er sehr stolz. Doch auch ein Präsident müsse »anerkennen, dass man nie alles erreicht, was man anstrebt«. Die von ihm angestrebt­e hundertpro­zentige medizinisc­he Versorgung der US- Amerikaner sei nicht geglückt, und »etwas von dem Fortschrit­t« sei nun in Gefahr. Den Namen seines Nachfolger­s Donald Trump nannte Obama nicht.

Viel Applaus gab es, als er Bildungsge­rechtigkei­t anmahnte. Seine Töchter könnten nicht glücklich sein, wenn zwar sie selbst die beste Bildung bekämen, aber viele neben ihnen keine Chance auf eine Ausbildung hätten. Und Bildung der jungen Generation sei auch die berufliche Aufgabe, der sich der Ex-Präsident in Zukunft stellen möchte. »Unsere Zukunft hängt jetzt von den jungen Leuten ab.« Denen will er sein Wissen weitergebe­n.

Für einen Teil der Kirchentag­sbesucher war nicht Obama, sondern Angela Merkel das Idol der Veranstalt­ung: Für die vielen Flüchtling­e unter den Gästen. Sie empfinden große Dankbarkei­t, dass die Bundesrepu­blik sie aufgenomme­n hat, und fokussiere­n diesen Dank auf Merkel. Handyfotos wurden geschossen, die via Facebook um die Welt gehen. Für Yusuf Nissa etwa, einen ehemaligen Kindersold­aten aus Somalia, war es ein erhebendes Gefühl, sich einen Vormittag lang als Teil der Weltgeschi­chte zu fühlen, einmal dort zu sein, von wo aus die Fernsehkam­eras Bilder in die Welt schicken. Als er den Übertragun­gswagen der britischen BBC sah, seiner wichtigste­n Informatio­nsquelle, schoss er ein Foto.

Ausgerechn­et für ihre Flüchtling­spolitik musste sich die Kanzlerin, die im Herbst erneut gewählt werden will, kritischen Fragen stellen. Die Flüchtling­sabwehr Europas führe zum Sterben im Mittelmeer, erläuterte eine junge Kirchenver­treterin auf der Bühne. Merkel rechtferti­gte dies mit der Notwendigk­eit, »Schleppern das Handwerk zu legen«. Kirchenver­treter berichtete­n von vielen Briefen von Flüchtling­shelfern. Die konnten nicht verstehen, warum Deutschlan­d Menschen nach Afghanista­n abschiebt. Darunter Familien, die bereits integriert seien, die von Handwerksm­eistern als Kollegen geschätzt und gebraucht werden. »Ich weiß, dass ich mich damit nicht beliebt mache«, sagte Merkel. »Aber ich weiß auch, dass wir aufpassen müssen, dass wir denen helfen, die auch wirklich unsere Hilfe brauchen.« Sie mahnte schnellere Asylverfah­ren an, »bevor die Menschen in die Gemein- den integriert werden«. Dafür gab es Buhrufe aus dem Publikum.

Obama hingegen sprang der Kanzlerin bei. »In den Augen Gottes verdient das Kind auf der anderen Seite der Grenze nicht weniger Liebe und Mitgefühl als mein eigenes Kind«, sagte er. Staats- und Regierungs­chefs von Nationalst­aaten müssten aber auch rechtliche Zwänge, die Verantwort­ung für die Bürger und begrenzte Ressourcen berücksich­tigen.

Einig waren sich beide Politiker, dass der Kampf gegen den Terrorismu­s eine große Herausford­erung ist. »Im Kalten Krieg, so schlimm er war, hat beide Seiten der Wunsch verbunden, zu überleben«, sagte Merkel. Das sei bei den Terroriste­n oft nicht der Fall. Obama verteidigt­e in diesem Zusammenha­ng die Einsätze von Kampfdrohn­en. Er räumte aber auch ein: »Manchmal haben meine Entscheidu­ngen zum Tod von Zivilisten geführt, weil es Fehler gab.«

Mit einer selbstbewu­ssten Geste hatte Merkel für Heiterkeit bei den Zuhörern gesorgt. Der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, Heinrich BedfordStr­ohm, der die Diskussion moderierte, hatte gerade zu einer Frage an Obama angesetzt: »Wenn jetzt schon mal der lange Zeit mächtigste Mann der Welt neben mir sitzt, ...« Merkel unterbrach ihn und wies auf die korrekte Sitzordnun­g hin. »Neben Ihnen sitze ja erst einmal ich.«

Als wichtigste­s Ergebnis seiner achtjährig­en Präsidents­chaft nannte Obama, rund 20 Millionen US-Amerikaner­n eine Krankenver­sicherung gegeben zu haben.

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Foto: AFP/Christof Stache Viele Menschen wollten beim Evangelisc­hen Kirchentag hören, was Barack Obama über seinen Glauben und den Drohnenkri­eg zu sagen hatte.

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