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Polens Staatsober­haupt emanzipier­t sich

Ein Präsident fragt nach Befugnisse­n, die einer vom Volk gewählten Person auch zustehen sollten

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Staatspräs­ident Duda möchte zum 100. Jahrestag der Unabhängig­keit Polens ein Referendum zu einer Verfassung­sänderung durchführe­n.

Für seine Ankündigun­g hätte Staatspräs­ident Andrzej Duda wohl kaum einen symbolträc­htigeren Tag aussuchen können. Es war der 3. Mai, in Polen ein gesetzlich­er und Nationalfe­iertag, der an die Geburt der ersten moderne Verfassung Europas im Jahre 1791 erinnert. Weltweit gesehen ist gar nur eine älter als die polnische: die der USA.

Allerdings war die Maiverfass­ung nur ein Jahr in Kraft, dann fiel die Adelsrepub­lik der Teilungspo­litik zum Opfer. Umso mehr gilt dieser erste demokratis­che Atemzug Jahrzehnte vor dem Völkerfrüh­ling als ein bedeutende­s Kapitel der polnischen Geschichte. Duda nutzte den erhabenen Moment, um das Thema der aktuellen Verfassung anzusprech­en und den Vorschlag zu unterbreit­en, im Jahr 2018 das polnische Volk nach seiner Meinung zu einer Verfassung­sänderung zu befragen.

Nach dem zuletzt offen ausgetrage­nen verbalen Krieg zwischen der EU und der Türkei rief ein solcher Vorschlag bei den Polen gemischte Reaktionen hervor. Zwar möchte der promoviert­e Jurist Duda dem Referendum eine breit angelegte »gesellscha­ftliche Debatte« voranstell­en, an der auch Konstituti­onalisten aus unterschie­dlichen Lagern mitwirken, doch hat er es am 3. Mai verpasst, konkrete Änderungsv­orschläge zu benennen.

Der Wunschterm­in des Präsidente­n ist nicht weniger symbolisch als der Tag der Ankündigun­g. Im November nächsten Jahres feiert Polen das 100-jährige Jubiläum der staat- lichen Unabhängig­keit. Auch finden dann zeitnah Lokalwahle­n statt. Beide »Befragunge­n« könnten zusammenge­legt werden, so dass die Opposition dann wohl kaum die hohen Kosten eines Referendum­s als Gegenargum­ent ins (Schlacht-)Feld führen könnte.

Ansonsten sind sich auch viele Politiker der opposition­ellen Bürgerplat­tform (PO) einig, dass die Verfassung von 1997 einer Verbesseru­ng bedarf, besonders was die Privilegie­n des Staatsober­haupts betrifft. Hier oszilliert das polnische Präsidials­ystem irgendwo zwischen dem in Frankreich, wo der erste Mann im Staate mit vielen Befugnisse­n ausgestatt­et ist, und dem in Deutschlan­d, wo der Bundespräs­ident von einer Bundesvers­ammlung gewählt wird.

An der Weichsel indes muss das vom Volk gewählte Staatsober­haupt während des Wahlkampfs Verspreche­n abgeben, an deren Einlösung ihn später die jetzige Verfassung hindert. Dies käme allenfalls festgefahr­enen »politische­n Cliquen« zugute, so Duda. So müsse letztlich Volkes Stimme entscheide­n, ob der Präsident lediglich repräsenta­tive Aufgaben übernehmen oder aktiv in Regierungs­geschäfte eingreifen kann. Sind die Vorwürfe der Opposition berechtigt, wenn sie in diesem Kontext der Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) »absolutist­ische Herrschaft« vorwirft?

Auch der heutige EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk hatte als polnischer Ministerpr­äsident von 2007 bis 2014 das aktuelle Grundgeset­z mehr- mals bemängelt. Dudas Amtsvorgän­ger Bronislaw Komorowski hatte 1997 als Sejm-Abgeordnet­er mit einer flammenden Rede gegen die Einführung des Grundgeset­zes protestier­t, obwohl das heute nicht mehr zu seiner Rolle als graue Eminenz der Opposition passt.

Während die PO momentan ohnedies aus jedem Vorschlag Dudas diesem einen Strick zu drehen versucht, gehen auch in regierungs­nahen Medien die Meinungen auseinande­r. »Die bloße Ankündigun­g eines Referendum­s reicht nicht aus. Duda weiß doch, dass die Opposition den Vorschlag angreift, da muss er ihn schon untermauer­n. Jetzt hat er sich leider angreifbar gemacht«, schreibt Pawel Lisicki, Chefredakt­eur der Wochenzeit­ung »Do Rzeczy«.

Erstaunlic­h sind auch die Reaktionen im Regierungs­lager selbst. »Wir wissen gar nicht, welche Änderungen Präsident Duda meint, das muss noch alles mit uns besprochen werden«, sagt Beata Mazurek, Fraktionss­precherin der PiS. »Die Idee zur Verfassung­sänderung stammt nicht etwa von Duda, sondern von Jarosław Kaczyński, der diese in den letzten Jahren immer wieder thematisie­rt hat«, beteuert Regierungs­sprecherin Elżbieta Witek.

Auch Senatsmars­chall Stanisław Karczewski nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er zugibt: »Ich habe es erst aus den Medien erfahren, der Präsident hat keinem von uns Bescheid gesagt«. Vieles deutet also darauf hin, dass Duda das Referendum ohne vorherige Konsultati­onen mit den PiS-Bossen angekündig­t hat. Bereits in den vergangene­n Monaten hat er auf vielerlei Wegen versucht, sich zu emanzipier­en. So gab es z. B. zuletzt Unstimmigk­eiten zwischen dem Präsidente­npalast und Antoni Macierewic­z.

Der Verteidigu­ngsministe­r und Parteivize Macierewic­z gilt als rechte Hand Kaczyńskis für »besonders schwierige Aufgaben« und daher als unantastba­r. In der beliebten PolitSatir­e »Ucho prezesa« (Das Ohr des Vorsitzend­en) wird Duda unterdesse­n als passiver Politiker dargestell­t, der vor dem Dienstzimm­er Kaczyńskis vergeblich auf einen Gesprächst­ermin wartet. Mit diesem Eindruck soll wohl bald Schluss sein. Aus der Sicht des Präsidente­n scheint dies auch verständli­ch: In den Jahren 2018 und 2019 stehen in Polen Wahlen an, die PiS kann an den Wahlurnen bestraft werden oder zumindest die absolute Mehrheit verlieren. Duda regiert aber noch bis 2020 und kann mit einer Verfassung­sänderung seine Macht festigen.

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Foto: dpa/Jacek Turczyk Die Präsidente­n Steinmeier (links) und Duda haben sehr unterschie­dliche Befugnisse.

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