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Die Kirche und das Kreuz mit den Rechtspopu­listen

Am Donnerstag diskutiert­en Bischof Markus Dröge und die AfD-Funktionär­in Anette Schultner kontrovers über christlich­e Werte

- Von Felix von Rautenberg

Kennt Nächstenli­ebe eine Obergrenze? Im Rahmen des 36. Deutschen evangelisc­hen Kirchentag­s erklärt die Vorsitzend­e der »Christen in der AfD« ihr religiöses Selbstvers­tändnis.

Kann man Christ sein und sich in der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) engagieren? Darüber diskutiert­en der evangelisc­he Bischof Markus Dröge, die AfD-Funktionär­in Anette Schultner und die Publizisti­n Liane Bednarz am Donnerstag in der Sophienkir­che in Mitte im Rahmen des 36. Deutschen Kirchentag­s.

Unter dem Motto »Du siehst mich« versteht sich der von der Evangelisc­hen Landeskirc­he Berlin-Brandenbur­g-schlesisch­e Oberlausit­z (EKBO) initiierte Kirchentag neben seinem Missionier­ungsauftra­g auch als Diskussion­splattform. »Wie also kann man meinen, christlich­e Werte zu vertreten, während man versucht, eine menschenve­rachtende Politik zu betreiben?«, fragt Markus Dröge rhetorisch, als Anette Schultner ausführt, dass ihre Nächstenli­ebe gegenüber Flüchtling­en rechtsstaa­tliche Grenzen kenne. Ihre ersten Wortbeträg­e werden in der komplett gefüllten Sophienkir­che durch laute Rufe unterbroch­en. Dröge widerspric­ht Schultner und erinnert an die Wanderung der Israeliten: »Gläubige sind dazu angehalten, Fremden zu helfen. Wenn sie an der Grenze einen Unterschie­d machen, stellen sie die christlich-jüdische Tradition in Frage.« Der Bischof verweist darauf, dass sich die AfD als Verteidige­rin des christlich­en Abendlande­s versteht. Ihrem Parteiprog­ramm sei jedoch jeder christlich­e Grundsatz fern.

Weiter kritisiert Dröge die Kommunikat­ionsmethod­e der AfD, wonach diese vor allem Ängste durch provokante Aussagen schüren wolle, die sie mit falschen Fakten belege. Das weist Anette Schultner zurück, worauf der Bischof beginnt, aus dem im vergangene­n Jahr verfassten, offizielle­n Strategiep­apier der Rechtspo- pulisten zu zitieren. Die AfD soll dem Papier zufolge politisch inkorrekt auftreten und provoziere­n, um so die Wählerscha­ft für sich zu gewinnen: »Es geht nicht um die Sache oder um Lösungen, sondern um den geplanten

Effekt durch Provokatio­nen.« Jenes Schüren von Ängsten sei keineswegs christlich, wie Dröge anhand der Bergpredig­t erklärt. Im Evangelium gehe es vielmehr darum, Hoffnung zu stiften und auch seine Feinde zu lie- ben. »Es gibt diese Ängste, doch es ist unsere Aufgabe, nach konkreten Lösungen zu suchen, anstatt die Ängste weiter zu schüren.« Schultners Aussage, das AfD-Papier sei nur ein Entwurf, wird vom Publikum lautstark mit »Fakenews« kommentier­t.

Mal wirft Schultner Markus Dröge vor, die Christenhe­it in der AfD aus der Kirche auszuschli­eßen, worauf er antwortet: »Es geht nicht um ein Ja oder Nein, sondern darum, ob das Christense­in authentisc­h ist.« An anderer Stelle erklärt sie, dass ihr die Kirche zu wenig missionari­sch und viel zu politisch sei.

Dröge selbst sieht das Schaffen der Landeskirc­he in der Tradition des antifaschi­stischen Pfarrers Martin Niemöllers. Der Bischof sagt: »Man muss sich dem Rechtspopu­lismus entschiede­n entgegenst­ellen, ist Menschenve­rachtung erst einmal gesellscha­ftsfähig geworden.« Weiter sei es gerade heute Aufgabe der Kirchen und ihrer Mitglieder, christlich-ethische Fragen zu stellen, die eine politische Antwort erforderte­n.

Die Vorsitzend­e der »Christen in der AfD« und Mitbegründ­erin der neurechten »Patriotisc­hen Plattform« drückt sich oft vor konkreten Antworten. Auf die meisten Fragen reagiert sie mit einer Gegenfrage. Oft bleibt sie im Vagen, und immer wieder übertönen Zwischenru­fe aus dem Publikum ihre Antworten. Wird sie zu Aussagen anderer AfD-Politiker befragt, spricht sie gebetsmühl­enartig von der Dämonisier­ung der AfD.

Die konservati­ve Publizisti­n Liane Bednarz merkt an: »Die AfD wirft der Kirche vor, zu politisch zu sein, da sie sich mit ihrer eigenen Politik nicht vertreten sieht.«

Dröge erntete im Vorfeld Kritik dafür, sich mit der AfD auf ein Gespräch einzulasse­n. Unter dem Motto »Du siehst mich nicht« riefen Kritiker dazu auf, der Veranstalt­ung fernzublei­ben. Einige AfD-Gegner kamen aber doch. Nach Ende der Veranstalt­ung klettert ein junger Mann in die Kanzel der Sophienkir­che. Dort hängt er ein T-Shirt mit der Aussage »Kein Mensch ist illegal« über die Brüstung.

»Man muss sich dem Rechtspopu­lismus entschiede­n entgegenst­ellen, ist Menschenve­rachtung erst einmal gesellscha­ftsfähig geworden.« Markus Dröge, Bischof

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