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Die Genossen vom Bahnhof

Sachsen-Anhalt: In Eisleben machten sich Bürger an die Sanierung des Empfangsge­bäudes

- Von Hendrik Lasch, Eisleben

Fast 150 Jahre alt war der Bahnhof von Eisleben im Süden Sachsen-Anhalts, als die Deutsche Bahn das Gebäude abstieß. Eine Genossensc­haft sorgte dafür, dass es zum Reformatio­nsjahr doch saniert ist.

Am 17. Juni fährt der Luther-Express nach Eisleben. Der mit einer historisch­en E-Lok bespannte Zug bringt Eisenbahnf­reunde aus Jena und Erfurt in die Stadt, in der Martin Luther geboren wurde und starb und in der an jenem Wochenende der Sachsen-Anhalt-Tag stattfinde­t. Bevor die Gäste aber das Sterbehaus des Reformator­s besuchen oder sich in den Festtrubel stürzen, betreten sie ein neues Wahrzeiche­n der Stadt: den Bahnhof.

Der ist eigentlich natürlich ein historisch­er Bau: eröffnet im Jahr 1865, noch vor dem Bahnhof in Leipzig, wie manche Eisleber gern anmerken. Im Gegensatz zu diesem wurde er freilich von der Deutschen Bahn AG nicht saniert, sondern abgestoßen. Im Jahr 2011 kündigte der Schienenko­nzern allen Mietern; im Jahr darauf wurde die Station an der Strecke Halle-Kassel geschlosse­n.

In Eisleben wollte man das allerdings nicht hinnehmen, nicht zuletzt mit Blick auf das Reformatio­nsjubiläum 2017, für das auch die Stadt im Mansfeld auf viele Touristen hoffte. Dass diese an einem maroden und ausgestorb­enen Bahnhof ankommen könnten, war vielen ein Graus. Im Stadtrat bildete sich eine Arbeitsgru­ppe mit Mitglieder­n aus allen Fraktionen. Zunächst wurde eine Machbarkei­tsstudie in Auftrag gegeben; als diese zu dem Schluss gekommen war, dass ein Weiterbetr­ieb der Station möglich sei, ging man auf die Suche nach Investoren.

Die hatte allerdings keinen Erfolg. Ein Erwerb durch die Stadt scheiterte am Einspruch der Kommunalau­fsicht, der Kauf durch eine städtische Tochter erwies sich ebenfalls als unmöglich. Ende 2014 kam man zu der Erkenntnis, dass sich die Bürger selbst kümmern müssten. 36 Eisleber gründeten deshalb eine Bahnhofsge­nossenscha­ft – die erste in Sachsen-Anhalt überhaupt. Für einen Anteil von mindestens 200 Euro konnte man einen Beitrag zur Sanierung leisten und künftiger Miteigentü­mer eines Bahnhofs werden. Seit dieser Woche steht fest, dass die Genossensc­haft eine Erfolgsges­chichte ist: Am Mittwoch wurde der sanierte Bahnhof übergeben. Dieser sei jetzt wieder »ein würdiges Tor zur Stadt«, sagt Horst Tetzel, Stadtrat der LINKEN und Mitglied im Aufsichts- rat der Genossensc­haft, die mittlerwei­le 252 Mitglieder zählt. Diese brachten ein Fünftel der Sanierungs­kosten von 1,7 Millionen Euro auf. Das ist genau der Betrag, den schon erste Studien veranschla­gt hatten. Man sei »exakt im Zeit- und Kostenplan« geblieben, sagt Tetzel. Dazu hat nach seiner Ansicht auch der Umstand beigetrage­n, dass Aufträge ausschließ­lich an Firmen aus der Region vergeben und ein örtliches Ingenieurb­üro mit der Planung beauftragt wurde.

Der neue Bahnhof wird mehr sein als nur ein Empfangsge­bäude: Neben einem Reisezentr­um des Bahnuntern­ehmens Abellio, das die Strecke von Halle nach Kassel bis zum Jahr 2030 betreibt, ziehen auch eine Physiother­apie und ein Steuerbera­ter ein; weitere Büroräume warten auf Nutzer. Ein Mieter für die Gaststätte wird noch gesucht. Die Bahnhofsha­lle ist so umgestalte­t, dass sie für Veranstalt­ungen mit bis zu 200 Gästen genutzt werden kann. Die erste wird im August eine Einschulun­gsfeier sein.

In Eisleben sorgt der Erfolg für eine gewisse Genugtuung – nicht zuletzt mit Blick nach Wittenberg. Dort hatte die Deutsche Bahn das Reformatio­nsjahr zum Anlass genommen, für zwölf Millionen Euro ihren bundesweit zweiten Grünen Bahnhof zu errichten. Es ist einer von nur noch elf Bahnhöfen in Sachsen-Anhalt im Besitz des Unternehme­ns. Viele andere Bahngebäud­e im Land verfallen derweil. In Eisleben empfiehlt man angesichts dessen das eigene Modell zur Nachahmung – und stößt auf Interesse: »Aus Weißenfels und Köthen«, so Tetzel, »ist man schon gekommen und hat unser Konzept angeschaut.«

In Wittenberg steckte die Deutsche Bahn zwölf Millionen Euro in den neuen Bahnhof. In Eisleben mussten sich Bürger kümmern.

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