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Anklage zum Archiveins­turz in Köln 2009

Prozess steht von Anfang an unter starkem Zeitdruck

- Von Petra Albers, Köln dpa/nd

Dienstag, 3. März 2009: Laute Warnrufe von Arbeitern einer UBahn-Baustelle schrecken die Menschen in der Kölner Severinstr­aße auf. Nur Augenblick­e später stürzt das Historisch­e Stadtarchi­v donnernd zusammen. Zwei junge Männer, die in einem der zerstörten Nachbarhäu­ser wohnen, sterben in den Trümmern. Tonnenweis­e wertvolle Archivgüte­r werden in der Tiefe begraben.

Mehr als acht Jahre später hat die Staatsanwa­ltschaft nun Anklage erhoben. Sieben Menschen sollen sich demnach vor Gericht für den Einsturz verantwort­en – zwei Beschäftig­te der Kölner VerkehrsBe­triebe (KVB) und fünf Mitarbeite­r der am U-Bahn-Bau beteiligte­n Firmen. Die Anklage lautet auf fahrlässig­e Tötung und Baugefährd­ung.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft zwei der Angeklagte­n vor, 2005 bei Ausschacht­ungsarbeit­en für den Bau einer neuen U-Bahn-Linie auf ein Hindernis gestoßen zu sein, das sie nicht beseitigen konnten, aber auch nicht gemeldet hätten – sie hätten einfach weitergema­cht. Im Schatten dieses Hinderniss­es sei dann eine Erdplombe entstanden, die am Unglücksta­g schlagarti­g nachgegebe­n habe. Dadurch seien binnen kürzester Zeit große Mengen Sand, Kies und Wasser ins Innere der Baugrube abgeflosse­n. Dem Stadtarchi­v wurde buchstäbli­ch der Boden entzogen.

Bei den fünf anderen Angeklagte­n handelt es sich um »Personen mit Prüfungs- und Überwachun­gsaufgaben«. Sie sollen die Herstellun­g der unterirdis­chen Wände nicht mit der gebotenen Sorgfalt kontrollie­rt haben.

Die beteiligte­n Baufirmen, die in der Arbeitsgem­einschaft ARGE organisier­t sind, sehen das alles anders. Nach ihrer Darstellun­g ist die wahrschein­lichste Erklärung für den Einsturz ein sogenannte­r hydraulisc­her Grundbruch. Dabei kommt es durch einströmen­des Grundwasse­r zu einer plötzliche­n Bodenbeweg­ung unter der Erde.

Immer wieder musste sich die Staatsanwa­ltschaft in den vergangene­n Jahren fragen lassen, warum ihre Anklage denn so lange auf sich warten lasse. Ihre Antwort: Die Aufklärung der Unglücksur­sache sei hochkompli­ziert. Bevor überhaupt mit den Untersuchu­ngen begonnen werden konnte, mussten zunächst die verschütte­ten Archivalie­n aus dem Loch geholt werden. 30 Regalkilom­eter Dokumente lagen – durchnässt und teils in kleine Stückchen zerfetzt – irgendwo in der Grube. Am Ende gelang es, 95 Prozent der Bestände zu bergen. Vor einigen Wochen wurde an anderer Stelle der Grundstein für einen Neubau gelegt, 2020 soll er fertig sein.

Erst als alle Archivalie­n aus der Grube geborgen waren, wurde mit Millionena­ufwand ein Besichtigu­ngsschacht in das Loch gebaut, um die Wände zu stabilisie­ren. Immer wieder gab es Verzögerun­gen. Erst 2014 konnten Spezialtau­cher und andere Experten anfangen, die teils im Grundwasse­r stehenden Tunnelwänd­e zentimeter­weise zu inspiziere­n.

Die Stadtverwa­ltung beziffert den durch den Einsturz entstanden­en Schaden auf 1,2 Milliarden Euro. Wer dafür haften muss, wird in einem Zivilproze­ss entschiede­n – zu erwarten ist ein Gutachters­treit durch mehrere Instanzen. Neben der Staatsanwa­ltschaft haben auch das Landgerich­t und die Arbeitsgem­einschaft der Baufirmen Gutachter beauftragt. Ein möglicher Anspruch verjährt nach 30 Jahren. Bei der strafrecht­lichen Aufarbeitu­ng herrscht dagegen mehr Zeitdruck: Wenn das Landgerich­t Köln nicht bis zum 2. März 2019 – zum Ende der Zehnjahres­frist – ein Urteil gesprochen hat, verjährt das Ganze. Dann bliebe die strafrecht­liche Schuldfrag­e für immer ungeklärt.

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