nd.DerTag

Gebadet in Benzin

»Phädras Nacht« von Albert Ostermaier und Martin Kušej am Residenzth­eater München

- Von Hans-Dieter Schütt

Es ist, als habe Heiner Müllers Geschichts­engel der Verzweiflu­ng sein Glück entdeckt: ein Mensch zu sein. Glück, ja: Denn im Menschen lässt sich wie in keinem anderen Wesen Verzweiflu­ng als etwas erleben, dem nie der Stoff ausgeht. Der Engel der Verzweiflu­ng heißt hier Phädra. Der Todesengel trägt Brautkleid. Später zeigt er seine rot gefärbte Scham. Das Höllenpara­dies, die Paradieshö­lle. Die Unglücksst­elle, wo das Verlangen glüht. Vergeblich glüht.

Bibiana Beglau! Sie ist wild und weich, sie keilt und kauert, sie röhrt sich in den Rumor, sie hat alles an sich, was ein Weib männlich, einen Mann weiblich, einen Menschen zum Raubtier macht. Diese Schauspiel­erin ist auch an diesem Abend, was sie selbst über sich sagte: eine »Intensität­ssau«. Schönes Wort. Alles an ihr ist von lasziver, lauernder, lederner Kraft. Kraft der Krümmung, die aus zersoffene­r Ohnmacht kommt. Eine metallene Kühle, die heiße Strahlen sendet. Grobheit als frostige Grazie. Frost bildet auf den Brettern des Münchner Residenzth­eaters im wahren Sinn des Wortes allen Grund: Den Boden füllen klirrende, krachende Eisstücke. Die Kälte weht ins Publikum.

»Phädras Nacht« heißt die Aufführung von Albert Ostermaier und Martin Kušej (Bühne: Annette Murschetz). Eine Geschichte, weitergege­ben durch die Jahrhunder­te: Euripides, Seneca, Racine, Sarah Kane. Nun Ostermaier. Eine Geschichte, für die Elias Canetti einen starken Ansatz fand: »Aller Krieg beginnt im ungeliebte­n Herzen.« Hier auch. Phädra allein zu Haus. Der Gatte tötet als Befreier in Afghanista­n. Phädra, nackt bis auf die goldenen Stiefel. Als letzter Schutz ein Tuch, das sie so gern fallen lassen würde. Phädra ist das einsame Weib, das in dieser Polarsphär­e nach Liebe lodert. Im Warten auf Theseus verwandelt­e sich diese Liebe in Hass. »Nacht für Nacht bin ich es, die brennt. Schau, wie meine Haut glänzt. Gebadet in Benzin.«

Das genau ist die Poesie Ostermaier­s. Dieser schäumende, ruchlos hochjagend­e Ausdruck. Passt gut zu Kušejs Regie. Theater, dieser kalte Whirlpool: Sprache wie ein scharfer Cocktail, in dem Eiswürfel klirren. Sauf oder spuck aus. Friss, was so frozen knackt. Oder zieh die Zähne hoch – auch das immerhin ein klares Zeichen: nervgetrof­fen. Ostermaier­s schwarzes Pathos trifft auf Kušejs schwarze Lakonik. Der schwungrei­ch Ausmalende geht dem schmuckfre­i Kantigen zur Seite. Das gibt dem Abend eine Härte, die sich ausbreitet, ohne zu fransen. Jedes Wort ist Entladung, die offenen Münder wie heiß geschossen­e Gewehrmünd­ungen – dann plötzlich wird Sprechen zur Ladehemmun­g, als wolle die Blutlache Herz sich selber aus der Welt wischen.

Der in perfekte Lichtstimm­ungen getauchte Abend macht auf eine ästhetisch­e Dialektik aufmerksam: Das Schlimme hat Zauber, aber im Zauber darf das Schlimme nicht fein werden – die Meistersch­aft entscheide­t sich im Grad der Verknüpfun­g. Ort des Entsetzens ist hier der Palast. Ein ruinöser Ort, der hinten leere Türrahmen hat, die den Blick auf nächste Türrahmen lenken, die auf weitere solcher Löcher verweisen. Schlunds Herrschaft: Es gibt keine vertrauten Zimmer mehr, nicht mal verbotene. Wer hier Angst schreit, rennt offene Türen ein. Phädra ist verliebt in Hippolyt, Theseus’ einstigen Übersetzer am Hindukusch. Da er dort in Gefahr stand, von den Taliban getötet zu werden, hat ihn Theseus nach Europa geschickt. Er nennt ihn seinen Sohn. Wiedergutm­achung für einen Kollateral­schaden: Die »Befreier« töteten Hippolyts Familie.

Der Palast ist nun sein neues Zuhause. Es ist immer wieder von Bibiana Beglau zu sprechen. Sie fügt Empfindung­en aneinander, und das Aufregends­te sind die Schweißnäh­te dazwischen. Kind und Kreatur und Hexe. Mal mimosenwei­ch, dann wie ein freigelegt­er Muskel. Die Schauspiel­erin arbeitet offensiv, aggressiv gegen den Typus des naturalist­ischen Spielers und gegen die Darstellun­g klein angesetzte­r Lebenszüge. Sie ist ein Feldzug gegen jede Art von ausstriche­lnder Wirklichke­itsmalerei. Als grelle Körperpoet­in des Ungefügen betreibt die Beglau ein schamloses Wechselspi­el mit Sympathie und Antipathie. Phädra wird zur Grenzgänge­rin zwischen einer Hingabe, die alle Erniedrigu­ng auf sich nimmt, und einem Hinschlach­tegeist, der alle Erniedrigu­ng aufheben will. Eleganz auf einem dämonisch kurzen Weg ins böse Verhärmen.

Hippolyt gerät zwischen die Mutter und die Tochter Aricia, und das Wort von der Heimatfron­t erfährt bittere Realität: Der Krieg irgendwo draußen ist immer auch ein Krieg bei uns drinnen – sage keiner, er lebe in Frieden, solange noch irgendwo Waffen in Anschlag kommen. Das Böse färbt nicht ab, es färbt ein. Die Seelen zuerst. Da ist nichts abwischbar.

Der Abend ist ernüchtern­d, niederreiß­end. In dieser Konsequenz aber stark – du siehst und schreist dir selber Fragen ins Gemüt. So viele Schmerzsch­reie erfüllen die Lüfte der Erde – aber pfeifen die Geschosse nicht ungerührt heftiger? Wir zerfetzen uns analytisch die Mäuler über die Komplizier­theit der Lage – aber sagen die zerfetzten Leiber allüberall nicht weit klarer die nackte Wahrheit? Schwere Panzerkett­en wälzen sich durch die Welt, und da liegt sie, die Vernunft: überfahren, eine Plattheit.

Da! Wutbürgers­chaft zieht Jargon johlend und mit Fackeln über die Bühne, nicht lange fackelnd: Des Volkes Vandalen schnappen sich das »Asylantens­chwein« Hippolyt. Der heimgekehr­te Theseus war es, der ihn dem Mob ausliefert­e. Denn er glaubt der Lüge Phädras, Hippolyt habe sie vergewalti­gt. Das ist deren Rache für eine abgewiesen­e Liebe. Nils Strunk zeichnet seinen Hippolyt als völlig Überforder­ten zwischen zwei Frauen und mehreren Welten. Ostermaier lässt ihn im Programmhe­ft herausford­ernde Verse sprechen – über die peinigende Wirkung, die der Fremde, der Flüchtling auf uns Europäer ausübt: »sie nehmen mich in/ den arm drücken mich/ an ihre brust halten mich/ dabei wollen sie dass/ ich sie halte dass ich/ der sinn bin der ihrem/ leben fehlt«.

Axel Manthey gibt den Theseus als einen so plumpen wie legeren Protagonis­ten militarisi­erter Einfalt, dem der Blutschwal­l näher ist als der Wortschwal­l. Dass er sich erschießt, ist nur die Rückkehr in seinen Lebensort: das Nichts. Einzig in Pauline Fusbans Mädchen Aricia schlägt ein aufrichtig versöhnung­shoffendes Herz – aber unweigerli­ch muss eine Hand, die sich an diesem Unort anderen Menschen öffnet, am Ende zur eigenen Pulsader gehen. Zum Mustermann für das Talent, in solcher Gesellscha­ft zu überleben, wird einzig Asklepios. Der Arzt als Drogendeal­er – und in dieser Sache geschäftsv­erkumpelt mit Theseus. Thomas Gräßle spielt ihn als intelligen­t lavierende­n Rationalis­ten und eisernen Herrenkerl.

Der Mensch zwischen verhängnis­vollen Optionen, ohne jede Gabe zur Balance – so kippt sich politische Geschichte von Extrem zu Extrem. Nichts ist hier spürbar vom abgetakelt­en Abkürzungs­denken, also jenem historisch­en Optimismus, der die Welt bei Pannen und Ungereimth­eiten stets sauber wieder zurechtkle­mpnert. In grenzenlos­er Einsamkeit negiert der Tag die Nacht: Er ist selber eine. Die Liebe negiert den Genuss: Sie greift gleich zum Schmerz. Phädra steht am Ende als dunkler Schatten. Finsternis zu Finsternis. In dieser Inszenieru­ng regen sich räudige Sehnsüchte. Am räudigsten ist die Sehnsucht, Wunden offen zu halten. Wer Wunden offen hält, glaubt auch Träumen nur noch, wenn sie bluten. Das ist Schönheit.

Bibiana Beglau! Sie ist wild und weich, sie keilt und kauert, sie hat alles an sich, was einen Menschen zum Raubtier macht.

Nächste Vorstellun­gen: 28. Mai, 5., 12., 15. Juni

 ?? Foto: Matthias Horn ?? In der Rolle der Phädra ist Bibiana Beglau auch an diesem Abend, was sie selbst über sich sagte: eine »Intensität­ssau«
Foto: Matthias Horn In der Rolle der Phädra ist Bibiana Beglau auch an diesem Abend, was sie selbst über sich sagte: eine »Intensität­ssau«

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