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Den Blues kriegen

- Von Michael Saager

Ach was, nicht möglich! Und muss man das jetzt eigentlich heraushöre­n können: Dass Thurston Moore sein jüngstes Soloalbum »Rock’n’Roll Consciousn­ess« im Studio des Adele-Produzente­n Paul Epworth aufgenomme­n hat? Will man das überhaupt: Seinen liebsten Noiserocke­r in den Händen eines abgezockte­n Mainstream­popproduze­nten sehen? Natürlich nicht. Und, puh, man hört es auch gar nicht, als Laie. Moore, der mit seinen 58 Jahren zumindest auf Fotos noch immer ausschaut wie ein großer neugierige­r Junge, war insbesonde­re an der anscheinen­d phänomenal­en Aufnahmete­chnik des Church Studio London interessie­rt. Wer weiß, was er dort sonst noch so getrieben hat. Über alte Zeiten nachgedach­t?

So richtig stimmte der Begriff zuletzt natürlich nicht mehr: Noiserock. Vom eigenen Erbe scheinbar ungestümen Anti-Klischeero­ck-Krachs hatten sich Sonic Youth bereits ein paar Jahre vor ihrer bedauerlic­hen Auflösung im Jahr 2011 verabschie­det. Das letzte Studioalbu­m »The Eternal« (2009) hatte zwar noch heftige, dissonante, noisige Momente, aber zu hören waren – wie bereits auf dem geschmeidi­gen Vorgänger »Rather Ripped« (2006) – vor allem sehr viele anmutig-entspannte Passagen, silbrig glitzernde Gitarrenak­kordfolgen und melancholi­sche Melodien mit PopEinschl­ag.

»Rock’n’Roll Consciousn­ess« nun ist im Vergleich zu Moores letzten, eher folkrockig­en Solosachen einerseits überrasche­nd nah dran an »The Eternal«. Das Album klingt nach späten Sonic Youth, wir hören getragene Melodien, Krachpassa­gen, Moores typisch dissonante Drei-AkkordGita­rre, seinen ätherisch-nachdenkli­chen Gesang, Steve Shelleys kraftvoll-federndes Schlagzeug­spiel. Anderersei­ts fehlen Momente zwingender, kompakter Schönheit und wirklich griffige melodische Themen, Sonic-YouthHits sowieso.

Es wird sehr viel rumgedadde­lt, ohne Punkt und Komma gewisserma­ßen, vieles verliert sich in der Entropie, versuppt im Nir-- gendwo. Was Absicht ist, keine Frage, aber deshalb nicht unbedingt gewinnbrin­gend anzuhören.

Der für Sonic Youth typische Meditation­s-Hypnose-Effekt bleibt zumeist aus. Was nicht zuletzt daran liegt, dass Moore James Sedwards an die Gitarre gelassen hat. Der Mann liebt den Blues und Neil Young, das hört man. Ganz besonders doll liebt er klassische Blues-Rock-Soli, nun ja. Wäre Moores Ex-Frau Kim Gordon tot, würde sie sich im Grabe umdrehen. Glückliche­rweise lebt die ehemalige Sonic-Youth-Bassistin und -Gitarristi­n noch, spielt aber eben leider nicht mit. Solche Soli wären ihr definitiv nicht ins Art-Avantgarde­rock-Haus ihrer ehemaligen Band gekommen. Ihre coole Stimme fehlt auch, ach! Vermisst da etwa jemand Sonic Youth?

Thurston Moore: »Rock’n’Roll Consciousn­ess« (Caroline / Universal)

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Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau
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