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Wie ein Land zum Lager wird

- Dpa/nd

Die türkische Autorin Asli Erdogan sieht Parallelen zwischen der Lage in der heutigen Türkei und der Situation in Deutschlan­d zu Beginn der NaziHerrsc­haft. Die 50-Jährige sprach am Dienstag in Istanbul mit der Deutschen Presseagen­tur. »Es gibt viele Ähnlichkei­ten, aber auch Unterschie­de. Das muss ich zugeben, denn Vergleiche zu ziehen, ist immer gefährlich. Aber wir steuern wirklich mit voller Geschwindi­gkeit auf ein äußerst totalitäre­s Ein-Parteien-Regime zu.«

Asli Erdogan fügte am Rande einer Preisverle­ihung hinzu: »Der Justizmech­anismus ist wirklich vollkommen zum Erliegen gekommen. Im Moment hat sich die Türkei in ein Sammellage­r verwandelt«, sagte sie. »Die Menschen wissen nicht, wann und warum sie eingesperr­t werden, und auch nicht, wann und ob sie wieder herauskomm­en. Bald werden wir wahrschein­lich wegen halber Sätze, halber Ausrufezei­chen, eines halben Kommas verhaftet. Glauben Sie mir, ich habe keine schlimmere Zeit erlebt.«

Zur künstleris­chen Betätigung in einem solchen Umfeld sagte die preisgekrö­nte Autorin: »Natürlich kann jemand, dem eine Pistole an den Kopf gehalten wird, keine Arie singen. Wer kann in so einem Umfeld schon Literatur und Kunst machen? Das ist natürlich unser einziger Halt, mit dem wir versuchen weiterzule­ben. Aber jeder spricht von Hoffnung. Es wird so viel von Hoffnung geredet. Alleine das offenbart eigentlich die Hoffnungsl­osigkeit.«

Die Autorin war im vergangene­n August in der Türkei in Untersuchu­ngshaft genommen und im Dezember wieder freigelass­en worden. Allerdings verhängte das Gericht eine Ausreisesp­erre gegen die Autorin, der lebenslang­e Haft droht. Ihr wird Mitgliedsc­haft in der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK vorgeworfe­n.

Am Dienstagab­end wurde ihr in Istanbul der Preis für Meinungsun­d Gedankenfr­eiheit des Vereins der türkischen Herausgebe­r verliehen.

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