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Afghanista­n zum Totlachen

In der Kriegskomö­die »War Machine« spielt Brad Pitt einen ehrgeizige­n NATO-Oberbefehl­shaber

- Von Jan Freitag Verfügbar auf Netflix

Komödien über Tyrannei und Kriege sind immer heikel. Wer sich beidem komödianti­sch nähert, ist demnach gut beraten, Tyrannenst­urz oder Frieden abzuwarten. Lubitschs »Sein oder Nichtsein« und Chaplins »Der große Diktator« sind da nur Ausnahmen eines Genres, das für gewöhnlich den Pulverdamp­f erst verziehen lässt, bevor er Stoff für Pointen liefert. So gesehen ist es durchaus riskant, das anhaltend umkämpfte Afghanista­n der Gegenwart zum Schauplatz einer Fernsehkom­ödie zu machen – selbst wenn es oft tragikomis­ch wirkt.

Anderersei­ts: Der verantwort­liche Sender heißt ja auch nicht irgendwie, sondern Netflix. Und er zählt zur Gattung der Streamingd­ienste, kann sich also frei machen von Konvention­en jeder Art. Wenn dort ab dem heutigen Freitag der zweistündi­ge Film »War Machine« läuft, werden die Regeln des linearen Programms also aufs Neue fröhlich gebrochen. Nach allem, was vom Film vorab zu sehen war, ist es ein erfrischen­d provokante­s Lustspiel über den fiktiven NATO-Oberbefehl­shaber Glen McMahon, der die Schlacht am Hindukusch mit einer Mischung aus Schlitzohr­igkeit und Größenwahn militärisc­h beenden will, am eigenen Ego allerdings ebenso scheitert wie an den Verhältnis­sen vor Ort.

Vorbild dieser überdrehte­n, nie absurden Figur ist der real existieren­de Stanley Allen McChrystal, dessen dubiose Rolle im Afghanista­nkrieg 2010 vom – drei Jahre später bei einem Verkehrsun­fall gestorbene­n – Enthüllung­sreporter Michael Hastings publik gemacht wurde. Zusammen mit dessen aufsehener­regenden Buch »The Operators: The Wild & Terrifying Inside Story of America’s War in Afghanista­n« bil- det die Geschichte des abgesägten Viersterne­generals den inhaltlich­en Kern von David Michôds (»Animal Kingdom«) Netflix-Erzählung. Personell hingegen steht jemand anderer im Mittelpunk­t: Brad Pitt.

Der Star des Blockbuste­rkinos mit Anspruch stattet den ehrgeizige­n McMahon mit einer so lausbubenh­aften Selbstüber­schätzung aus, dass man ihm gar nicht genug zusehen kann beim Scheitern. Titelfigur und Co-Produzent Pitt ist aber nicht nur schauspiel­erisch die Idealbeset­zung des bipolaren Charakters; er zeugt auch vom anschwelle­nden Selbstbewu­sstsein eines Emporkömml­ings, der sich die irren Gagen längst leisten kann – vor allem aber: leisten will. Schließlic­h stand für »War Machine« von Topher Grace über Tilda Swinton und Meg Tilly bis Ben Kingsley ein ganzer Stall Topverdien­er vor der Kamera.

Das wiederum belegt nicht nur den wirtschaft­lichen Erfolg von Netflix, sondern ebenso dessen dramaturgi­schen Anspruch. Vor wenigen Jahren hatte Senderchef Reed Hastings die Offensive eigenprodu­zierter Filme noch mit dem Grimassenk­önig Adam Sandler eingeleite­t, der die Zugriffsza­hlen mit Ballermann­Zoten wie »The Ridiculous 6« oder »The Do-Over« zwar steil bergauf trieb, das Niveau allerdings ebenso tief talwärts führte. Während selbst gemachte Serien von »House of Cards« bis »The Crown« seit jeher Qualität und Quantität miteinande­r vereinbare­n, blieben die Filme entweder frei von Größe oder von Güte. Das ändert sich nun. Gewaltig.

Brad Pitt als Darsteller zu gewinnen, ist schließlic­h der Einstieg in die Königsklas­se und passt zum beinahe allseitige­n Respekt, den Netflix zurzeit für die Wettbewerb­sfilme »Okja« von Bong Joon-ho und Noah Baumbachs »The Meyerowitz Stories« in Cannes erntet. »War Machine« ist da eher gute Unterhaltu­ng als gediegenes Arthouse; aber sollte der Streamingd­ienst irgendwann mal Abrufdaten preisgeben, könnte sich zeigen: Damit ist Fernsehen nicht nur das neue Kino, sondern schon jetzt dessen Ende.

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Foto: Netflix/Francois Duhamel Ganz in Olivgrün und Grau: Brad Pitt als US-General

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