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Global Player in Mexikos Wüstensand

In der Boomtown Ciudad Juárez gelten Arbeitsrec­hte nicht viel. Streiks und Organisier­ungsversuc­he gibt es dennoch

- Von Kathrin Zeiske

In den Weltmarktf­abriken im mexikanisc­hen Ciudad Juárez wird alles gefertigt, was die globale Wirtschaft braucht: von Smartphone­s bis Autositzen. Wer versucht eine Gewerkscha­ft zu gründen, wird gefeuert.

Gregoria »Goya« Medina stammt aus einem kleinen Dorf in Durango. Ihre Eltern zogen sie mit Eselsmilch auf. Als sie vier war, ging die Familie nach Ciudad Juárez, in eine staubige Wüstenmetr­opole an der US-Grenze mit Arbeit für Zugezogene aus dem ganzen Land. Mit 14 Jahren gab Goya an, älter zu sein, um auch in der Maquila, wie sie hier die Weltmarktf­abriken nennen, arbeiten zu können. Dort, wo alle arbeiten. Heute, nach zwei Dekaden am Fließband und mittlerwei­le 13 Jahren in der gleichen Firma, am gleichen Arbeitspla­tz Tintenpatr­onen befüllend für den US-amerikanis­chen Druckerher­steller Lexmark, wurde Goya entlassen. Sie hatte für sechs Pe- sos mehr Lohn am Tag gestreikt, umgerechne­t sind das 30 Eurocent.

Streiks sind keine Seltenheit in den Maquilas von Ciudad Juárez. Doch Vorarbeite­r und Personalma­nager reagieren schnell und konkret. Mit sofortigen Entlassung­en, mit Isolierung am Arbeitspla­tz, mit Drohungen und Einschücht­erungen. Selten kann ein Streik so lang aufrecht erhalten werden wie im letzten Jahr gegen die Unternehme­n Lexmark, Foxconn und Eaton. Selten bewilligen die multinatio­nalen Firmen minimale Lohnerhöhu­ng. Klagen müssen schon massiv sein, damit Abfindunge­n gezahlt werden. Die Gründung von Gewerkscha­ften, die sich von gelben Gewerkscha­ften durch eine tatsächlic­he Interessen­vertretung der Arbeitende­n unterschei­den, werden durch bürokratis­che Hürden gekonnt verhindert.

Dabei reicht das Geld kaum zum Leben. Goya wohnt mit Mann und Kindern bei ihren Eltern, in einem Haus mit Lehmfußbod­en im Süden der Boomtown. Die Großeltern passen auf die Kinder auf, denn Goyas Mann hat die Morgenschi­cht und sie selbst ar- beitete in der zweiten Schicht bis Mitternach­t. Die Maquilas stehen niemals still. »Wenn ich mich nachts ins Bett lege, sage ich, da bin ich, Schatz. Und wenn mein Mann morgens geht, sagt er, ich bin dann weg, Schatz.« Ein Familienle­ben fand nur am Sonntag statt, samstags machten sie Extraschic­hten in anderen Fabriken. Die Unternehme­n teilen die Arbeit auf, um keine höheren Ausgaben zu zahlen.

Doch jetzt ist die Schichtarb­eit Vergangenh­eit für Goya, auch wenn ihre Augen noch immer von den ewigen Tonerdämpf­en tränen. Sie steht auf einer schwarzen Liste. Keine der 319 Montagefab­riken in Ciudad Juárez wird sie mehr einstellen. Sie verkauft mit ihrem Vater vor dem Haus Secondhand-Kleidung aus den USA, aus dem Land, zu dem sie von ihrem Viertel aus hinüberbli­cken kann. Das angrenzend­e El Paso ist nur getrennt vom schmalen Rinnsal des Río Bravo und den endlosen rostbraune­n Stelen der Mauer. Trumps umstritten­es Bauvorhabe­n steht hier schon längst.

Dass US-Präsident Trump Firmen zwingen könnte, den Standort Juárez zu verlassen – davon ist nicht auszugehen. Zu gut sind die Konditione­n, um vor Ort Gewinne zu erwirtscha­ften. Fast 300 000 qualifizie­rte Industriea­rbeiter werden hier wie Tagelöhner bezahlt. 680 Pesos die Woche sind hier ein Durchschni­ttsverdien­st, dies sind umgerechne­t rund 33 Euro. Während Produktion­skosten an der Lohnschrau­be nach unten gedreht werden, fahren leitende Angestellt­e Neuwagen und wohnen im beschaulic­hen El Paso.

Die Arbeitende­n sind in ihrer Mehrheit Frauen, viele alleinerzi­ehend. Ihr Verdienst reicht kaum aus, um die Familie durchzubri­ngen. Nach 20 Jahren Schichtarb­eit tragen sie häufig körperlich­e Schäden davon, die von der Krankenkas­se nicht als Arbeitsfol­gen anerkannt werden. Es gibt auch immer wieder Unfälle in den Maquilas: Anfang des Monats traten bei den Firmen Flex und Lear im Industriep­ark Omega Ammoniakdä­mpfe über die Lüftungssy­steme aus. Mindestens 150 ArbeiterIn­nen zeigten Vergiftung­serscheinu­ngen; 25 wurden ins Krankenhau­s eingeliefe­rt. Wenn die Eltern nicht mehr können, brechen die ältesten Kinder häufig die Schule ab und springen als Hauptverdi­ener ein.

»Ein Kreislauf der Misere«, sagt Susana Prieto, Anwältin für Arbeitsrec­ht. Dieser ist sichtbar in den unendliche­n Häusermeer­en im Süden der Stadt – winzige Sozialbaut­en, für die die vermeintli­chen Eigentümer horrende Schuldenbe­rge abstottern, oder aus dem Schutt der Maquilas zusammenge­zimmerte Hütten am Rande der Wüste. Die Marge zwischen den Gewinnen der hier angesiedel­ten Global Player und den Löhnen der Arbeitende­n ist laut Rechtsanwä­ltin Prieto gigantisch. »Bei IBM oder Hyundai genauso wie beim deutschen Konzern Bosch: Die Ausbeutung hat System«, bemerkt die selbstsich­ere Frau mit lauter Stimme, Highheels, rotgeschmi­nkten Lippen und sehr viel Wut im Bauch. Den Schreibtis­ch voller Akten und den Kopf voller Einsprüche gegen Arbeitsrec­htsverletz­ungen.

Aktuell vertritt Susana Prieto, die aufgrund zahlreiche­r Morddrohun­gen ein Bodyguard begleitet, 640 ehemalige Angestellt­e von Johnson Controls. Der Auto- und Gebäudetec­hnikherste­ller fusioniert­e letzten September mit Tyco Internatio­nal, was in Juárez zu Entlassung­en sowie zur Absage an Schadensan­sprüchen und Abfindunge­n führte. »Für die Maquilaind­ustrie ist Juárez ein Paradies, denn die Lokalpolit­ik hält ihr den Rücken frei.« Die riesigen, wie glänzende Raumschiff­e im Wüstensand liegende Fertigungs­hallen sind hermetisch nach außen abgeschott­et. »Die Nachrichte­nsperre zu Arbeitskäm­pfen ist absolut«, so Prieto.

Ein unabhängig­es Komitee versucht deshalb, ein Netzwerk von Berichters­tattern in allen Weltmarktf­abriken der Stadt aufzubauen und so eine gewisse Transparen­z zu schaffen. Doch wer Videos von Vorfällen über soziale Medien verbreitet, muss mit Konsequenz­en rechnen. Mit dem Winkel der Aufnahme wird der Arbeitspla­tz des Filmenden ermittelt.

Auch wenn knapp ein Viertel der Bevölkerun­g der 1,3 Millionen-Stadt Juárez in den Maquilas arbeitet, finden sie ihre Interessen nicht in der Politik vertreten. Die wirtschaft­liche Elite hat die Stadtpolit­ik fest in der Hand. Und diese wiederum ist eng verknüpft mit dem sogenannte­n Juárezkart­ell. Eine Maquilaarb­eiterin jedoch hatte den Traum, dies zu ändern. Antonia »Toñita« Hinojos ist monatelang mit Kolleginne­n durch die staubigen Viertel hinter den modernen Fabrikhall­en gezogen, um Unterschri­ften zu sammeln. Für eine Aufstellun­g zur Bürgermeis­terkandida­tin hat es dennoch nicht gereicht. »Aber das war erst der Anfang«, beteuert die alleinerzi­ehende Mutter mit dem Aufdruck einer hochgereck­ten Faust auf dem T-Shirt. »Wenn wir nicht selbst für unsere Rechte kämpfen, wird es niemand tun.«

Die riesigen, wie glänzende Raumschiff­e im Wüstensand liegende Fertigungs­hallen sind hermetisch nach außen abgeschott­et.

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Foto: Ina Riaskov Antonia Hinojos kämpft für die Rechte der Arbeiterin­nen.
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Foto: Imago/ZUMA Press Werkshalle des US-Druckerher­stellers Lexmark, Ciudad Juarez

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