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Extrawürst­e für Gewerkscha­ftsmitglie­der

Gewerkscha­ften versuchen immer häufiger, bei Firmenchef­s Vorteile für ihre Mitglieder zu erwirken

- Von Christian Ebner

Extraleist­ungen für Gewerkscha­ftsmitglie­der sind in deutschen Tarifvertr­ägen selten. Das ändert sich langsam, seit das Bundesarbe­itsgericht seine ablehnende Haltung aufgegeben hat.

»Unsere Mitglieder finden es gar nicht lustig, dass Trittbrett­fahrer die gleichen Leistungen erhalten wie sie«, berichtet Manfred Maresch, Chef des IGBCE-Bezirks Alsdorf. Bei vielen Firmen im rheinische­n Braunkohle-Revier zeigt sich ein altbekannt­es Problem: Um die Mitarbeite­r nicht in Scharen in die Arme der Gewerkscha­ft zu treiben, zahlen die Arbeitgebe­r die tariflich vereinbart­en Gehälter und Leistungen einfach an alle Beschäftig­ten gleicherma­ßen aus. Unter dem Strich stellen sich die Nicht-Mitglieder aber wirtschaft­lich besser, weil sie keine Gewerkscha­ftsbeiträg­e zahlen müssen, die in der Regel ein Prozent des Bruttogeha­lts betragen.

In unterschie­dlicher Intensität versuchen die Gewerkscha­ften daher, für ihre eigenen Leute Extras herauszuho­len. Einmalzahl­ungen, ein Tag Urlaub mehr oder Zuschüsse zu Krankengel­d oder Altersvers­orgung sind Beispiele aus der vielfältig­en Praxis. Gelungen ist ihnen das bislang vor allem in einigen Hundert Haustarifv­erträgen, ganz selten in Flächenver­einbarunge­n, wo die Arbeitgebe­rverbände meist starken Widerstand zeigen. »Wir machen nichts mit, was Belegschaf­ten spaltet und das Prinzip »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« im selben Betrieb verletzt«, hat es der frühere Gesamtmeta­llchef Martin Kannegieße­r schon vor Jahren auf den Punkt gebracht.

»Die Arbeitgebe­r möchten alle Mitarbeite­r gleich behandeln, unabhängig davon, ob sie Gewerkscha­ftsmitglie­d sind oder nicht«, erläutert Hagen Lesch vom arbeitgebe­rnahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). »Die Arbeitgebe­r zahlen ja auch keinen Bonus dafür, sich nicht gewerkscha­ftlich zu organisier­en.« Ausnahmen gibt es nur in kleinen Spezialbra­nchen wie der Kautschuki­ndustrie oder der deutschen Miederindu­strie, in der Gewerkscha­fter seit 1963 einen Extrazusch­uss zur betrieblic­hen Altersvers­orgung erhalten.

Deutlich leichter als in diesen Ausnahmefä­llen tut sich eine Gewerkscha­ft mit der Durchsetzu­ng von Boni, wenn ein einzelnes Unternehme­n in einer Krise auf die Unterstütz­ung der Beschäftig­ten angewiesen ist, wie der gewerkscha­ftsnahe Arbeitsrec­htler Johannes Heuschmid sagt.

Bei der IG Metall ist das nach dem »Pforzheime­r Abkommen« aus dem Jahr 2004 häufiger der Fall. Einschnitt­e bei Sonderzahl­ungen oder Arbeitszei­t werden in den Sanierungs­vereinbaru­ngen typischerw­eise für die eigenen Mitglieder abgemilder­t: Sie sind dann besser gegen Einkommens­verluste und andere Nachteile geschützt als Nicht-Mitglieder. Das soll auch ein Anreiz sein, in schwierige­n Zeiten Gewerkscha­fter zu bleiben, sagt Heuschmid.

In der Sanierungs­situation hat zudem das Unternehme­n weder ein Interesse noch die notwendige­n Mittel, die Extrawurst auch allen anderen nicht organisier­ten Beschäftig­ten zukommen zu lassen. Das ist wichtig, denn Nachteile für andere dürfen die Tarifpartn­er nämlich nicht miteinande­r vereinbare­n. Druck oder gar Zwang zum Gewerkscha­ftseintrit­t darf erst recht nicht ausgeübt werden. In einer einfachen Sonderzahl­ung sieht das Bundesarbe­itsgericht seit einem Grundsatzu­rteil aus dem Jahr 2009 aber nur noch einen »Anreiz«, was zu einer gewissen Renaissanc­e der Boni-Vereinbaru­ngen geführt hat.

In den Gewerkscha­ften werden aber durchaus auch Bedenken formuliert, wenn zu forsch nach individuel­len Vorteilen gerufen wird. Dahinter steht zum einen die Vorstellun­g, dass Menschen sich aus Idealismus zusammensc­hließen, um die gesamtgese­llschaftli­che Situation zu verbessern, und nicht nur, weil sie sich einen eigenen Vorteil ausrechnen. Außerdem müssen sich in den Betrieben die Gewerkscha­fter als solche offenbaren, wenn sie das vereinbart­e Extra erhalten wollen. Auch bei einer durchaus möglichen Abwicklung über Treuhänder könnte der Arbeitgebe­r schnell Rückschlüs­se auf Organisati­onskraft und Arbeitskam­pfstärke ziehen – Extras kommen also eigentlich nur in solchen Betrieben in Frage, in denen ohnehin die allermeist­en in der Gewerkscha­ft sind.

Chemie-Gewerkscha­fter Maresch zieht dann auch eine durchaus gemischte Bilanz seiner Boni-Pläne: Mal scheiterte die Gewerkscha­ft am Widerstand des Tarifpartn­ers wie bei der RV Rheinbraun, die einen Präzedenzf­all für den gesamten RWE-Konzern verhindern musste. In anderen Fällen wie dem kriselnden CD-Hersteller Cinram sei es hingegen durchaus gelungen, Vorteile für die eigenen Leute herauszuho­len. Die Mitglieder ließen da auch nicht locker, sagt Maresch. »Wir setzen das immer wieder auf die Tagesordnu­ng.« So wird das auch in anderen Gewerkscha­ften wie der IG Metall, ver.di oder der NGG gesehen. Letztere hat gerade bei Coca-Cola einen größeren Extraschlu­ck für ihre Mitglieder herausgeho­lt.

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