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Mediziner fürchten Computer-Viren

120. Deutscher Ärztetag ringt um Strategien für die Digitalisi­erung und besseren Datenschut­z

- Von Ulrike Henning

Alles wird immer technische­r – auch der Arztbesuch. Damit zwischen elektronis­cher Gesundheit­skarte und Fitness-App die Sicherheit nicht zu kurz kommt, suchen Mediziner angemessen­e Lösungen.

Es scheint fast, als sei der Erpressung­svirus WannaCry extra zur Einstimmun­g auf den 120. Deutschen Ärztetag programmie­rt worden. Die deutschen Mediziner hatten sich die Herausford­erungen der Digitalisi­erung allerdings schon lange vor der jüngsten Computer-Epidemie ins Programm der Veranstalt­ung vom 23. bis 26. Mai in Freiburg geschriebe­n.

Der aktuelle Cyberangri­ff, der insbesonde­re das britische Gesundheit­swesen aus dem Takt brachte, war für die zahlreiche­n Bedenkentr­äger unter den deutschen Ärzten eine Steilvorla­ge. Entspreche­nd wurde die zentrale Speicherun­g von Patienten- daten in der Cloud als zu riskant bewertet. Höchste Datenschut­zkriterien seien stattdesse­n anzuwenden, eine »moderne und dezentrale Punktzu-Punkt-Kommunikat­ion« geradezu Verpflicht­ung. Konkret möchte man die nächste Etappe der Funktionse­rweiterung der elektronis­chen Gesundheit­skarte so lange aussetzen, bis sicher ist, dass Abläufe in Praxen und Kliniken nicht gestört werden und der Datenschut­z funktionie­rt. Testergebn­isse für das Management der Versichert­enstammdat­en gebe es nicht, dennoch müssten sich die Arztpraxen laut E-Health-Gesetz an die Telematiki­nfrastrukt­ur der Krankenkas­sen anschließe­n.

Der Verein demokratis­cher Ärztinnen und Ärzte (vdää) hatte vorab gefordert, dass sich die Veranstalt­ung intensiver und kritischer mit der Sicherheit von IT-Anwendunge­n in der Medizin befassen müsse. Nutzen und Risiken telemedizi­nischer Anwendunge­n müssten gegeneinan­der ab- gewogen werden. Bisher hatte der Vorstand der Bundesärzt­ekammer Untersuchu­ngen zur praktische­n Sicherheit von IT-Anwendunge­n aus Kostengrün­den abgelehnt. Eine künftige digitale Strategie für das Gesundheit­swesen sollte nach der Vorstellun­g des vdää nicht nur die Datensiche­rheit umfassen, sondern auch Lösungen für den Konflikt zwischen informatio­neller Selbstbest­immung der Patienten und einer praxisnahe­n Anwendung finden. Zudem sollten die IT-Kompetenze­n in allen Gesundheit­sberufen gestärkt werden.

Beim Thema Digitalisi­erung geht es auf dem Ärztetag auch darum, wie die Kliniken mit einer modernen ITInfrastr­uktur ausgestatt­et werden können. Gefordert wurde ein einheitlic­hes Gütesiegel für Gesundheit­sApps. Hierbei handelt es sich um kleine Anwendungs­programme vor allem für Smartphone­s, die schon Millionen Menschen nutzen, etwa um ihr Bewegungsp­ensum, Herzfreque­nz oder die Schlafqual­ität zu messen. Weiterhin bleibt das Feld für Pilotproje­kte offen. So soll in BadenWürtt­emberg die Fernbehand­lung von Patienten per Telefon getestet werden.

Der Präsident der Bundesärzt­ekammer, Frank Ulrich Montgomery, thematisie­rte die bestehende »Gerechtigk­eitslücke« bei der Lebenserwa­rtung. So lebten Kinder aus dem ärmsten Prozent der deutschen Gesellscha­ft zehn Jahre kürzer als jene Kinder, die zum reichsten Prozent gehörten. Verursache­r sei nicht die medizinisc­he Versorgung, sondern der Bildungsun­terschied, so Montgomery. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) vermochte nur mit dem Prävention­sgesetz zu kontern, nach dem Kitas und Schulen das übernehmen sollen, was Eltern im Gesundheit­sbereich versäumen. Ansonsten sollen nach dem Willen der Ärzte zumindest in der Finanzieru­ng des Gesundheit­swesens deutliche Verschiebu­ngen vermieden werden. Die Bürgervers­icherung, mit der die Aufspaltun­g in gesetzlich und privat Versichert­e überwunden werden könnte, bleibt dabei das Schreckges­penst der Mediziner – jedenfalls aus Montgomery­s Sicht. Er warnte vor dem Projekt, das SPD, Grüne und LINKE verfolgen und theoretisc­h gemeinsam durchsetze­n könnten.

Eine Forderung des Ärztetages besteht in der dringenden Entlastung der Mediziner in den Notaufnahm­en. Im Streit um die Versorgung der Notfallpat­ienten schlug die Bundesärzt­ekammer einen Runden Tisch vor, da sich in diesem Feld Interessen niedergela­ssener Ärzte mit denen der Krankenhäu­ser überschnit­ten.

Auf dem Ärztetag bestimmen 250 Delegierte aus 17 Landesärzt­ekammern Positionen zu politische­n und ethischen Fragen und treffen Entscheidu­ngen zum Berufsrech­t. Diese gelten dann für die bundesweit knapp 500 000 Ärztinnen und Ärzte.

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