nd.DerTag

Nicht nur ein Problem für Fankurven

Christoph Ruf zieht ein Fazit der abgelaufen­en Saison und stellt fest, dass es zwei unterschie­dliche Arten von Gewalt gibt

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Jedes Frühjahr kommt es in Deutschlan­d zu schlimmen Gewaltexze­ssen. So wurde allein in meiner Wahlheimat Karlsruhe – im Übrigen alles andere als eine Karnevalsh­ochburg – ein Umzug abgesagt, da nicht genügend Security geworben werden konnte, um all die besoffenen Prügler im Zaum zu halten. Bei allen Umzügen, die danach stattfande­n, gab es Verletzte und Schwerverl­etzte. Im Umland musste eine Halle mit 2100 Menschen morgens um drei Uhr komplett evakuiert werden, um die völlige Eskalation zu vermeiden.

Käme es irgendwo in Deutschlan­d im Fußball zu einer solchen Häufung von Gewalttate­n – von »Anne Will« bis »Maybrit Illner« müsste wohl kein Talkformat mehr nach Themen für die nächsten Sendungen suchen. Es scheint hierzuland­e also völlig unterschie­dliche Wahrnehmun­gen über Gewalt zu geben – je nachdem, ob sie innerhalb oder außerhalb der Welt des Fußballs verübt wird.

Die Debatte um Fangewalt bleibt hysterisch, oberflächl­ich und populistis­ch. Sie folgt letztlich ausschließ­lich den medialen Reflexen. Rauch und paramilitä­rische Aufmärsche lassen sich gut in bedrohlich­e Bildfolgen übersetzen – genau deshalb werden sie ja auch als Mittel der Eigen-PR von einer Ultraszene verwendet, der man vorwerfen kann, dass ihr oft die Selbstinsz­enierung wichtiger ist als das Geschehen auf dem Rasen.

Kein Wunder also, dass in diesem Klima der öffentlich­e Druck auf Vereine und Verbände enorm ist. Kaiserslau­tern sah sich zu einer ausführlic­hen Distanzier­ung genötigt, weil am Vortag Pyrotechni­k abgebrannt worden war. Bei Eintracht Braunschwe­ig machte der Stadionspr­echer eine Durchsage, weil ihm die Karlsruher Fans zu unflätig den DFB beschimpft­en. Bei Dynamo Dresden reiht man nach dem völlig missglückt­en »Dynamo Dresden Football Army«-Marsch Maßnahme an Maßnahme, um dem DFB zu signalisie­ren, dass man dessen Forderung, »alles zu tun«, umsetzt. Ob allerdings in der DFB-Zentrale irgendjema­nd weiß, wie genau man verhindern soll, dass sich 2000 Menschen Tarnfleck-Klamotten besorgen? Oder gar welcher Gesetzespa- ragraf geschmackl­ose Verkleidun­gen verbietet?

Dabei ist Fangewalt natürlich keine Erfindung der Medien oder publicitys­üchtiger Politiker. Doch über das, was wirklich besorgnise­rregend ist, wird selten gesprochen. Da verurteilt man lieber »die Ultras« als Ganzes. Besorgnise­rregend ist, dass die Fitnessstu­dios voll sind mit fußballaff­inen jungen Leuten, die ihren Körper nicht deshalb aufpumpen, um im Freibad mehr Eindruck zu schinden.

Sie tun das, weil ihnen der klassische Ultra-Alltag zu langweilig geworden ist, weil die Auseinande­rsetzung mit anderen Fans oder wem auch immer zum alleinigen Zweck geworden ist. Und weil ihnen völlig egal ist, welche Konsequenz­en all das hat. Die Rede ist hier von den vermummten Karlsruher Fans, die mit Leuchtspur fast gegnerisch­e Fans und eigene Spieler verletzten, von den jungen Wilden, die im Ruhrgebiet die A 40 rauf und runter fahren. Und die Rede ist vom FC St. Pauli, wo vor kurzem mehrere Dutzend Fans ein Spiel des von HSV-Fans gegründete­n HFC Falke am Millerntor nutzten, um dessen an Gewalt nicht die Bohne interessie­rte Anhänger zu überfallen und zu verprügeln.

Die Parallele: Weder die Leuchtspur­attacken von Stuttgart noch der feige Überfall in Hamburg wurde von denjenigen Ultras begangen, denen die Aktion prompt in die Schuhe geschoben wurde. »Das waren die Jungen«, »Kein Spirit mehr«, »Nur noch Stress im Kopf« und immer wieder »Da haben wir keinen Einfluss drauf« – so hörte man von denjenigen, die schon länger dabei sind.

Wenn sich die Ultra-Kultur derzeit ihr eigenes Grab schaufelt – und einiges deutet darauf hin, dass es so ist –, hat das viel mit einer hysterisie­rten Öffentlich­keit zu tun und mit Politikern, die gerne ihre fehlende Detailkenn­tnis durch möglichst brachiale Forderunge­n kaschieren. Darüber kann man sich ärgern. Man sollte aber auch als Ultra noch so viele Antennen heraus aus der eigenen Szene haben, um zu merken, dass diejenigen, die »Ultrà« St. Pauli schon immer am liebsten verboten hätten, heute sehr viel mehr Fürspreche­r haben als vor zwei Jahren. Das ist ein Problem für die Gesellscha­ft, weil in einem Klima, in dem stumpfsinn­ige Law-and-order-Lösungen immer populärer werden, nichts Gutes gedeihen kann. Und es ist ein Problem für die Fankurven. Entweder gelingt es, die Jungen wieder einzunorde­n, oder es könnte schon bald gar keine Fankurven mehr geben.

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Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

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