nd.DerTag

Deutschlan­d, einig Kinderland?

Zwei Millionen Mädchen und Jungen sind in Deutschlan­d von Armut betroffen

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Berlin. Der 1. Juni ist der Internatio­nale Kindertag. In Russland nimmt Präsident Wladimir Putin den Tag zum Anlass, um Familien in den Kreml einzuladen. In China ist der »Liuyi« ein offizielle­r Feiertag, zumindest für alle Kinder unter 14 – sie haben schulfrei. Auch im Osten Deutschlan­ds hält man an dem Datum fest, obwohl der Tag nicht mehr so zelebriert wird wie einst in der DDR. Westlich der Elbe spielt der 1. Juni jedoch keine Rolle. Da der Ostblock den Tag bereits in den 50ern als Feiertag verankert hatte, wich man auf einen anderen Termin aus. Und so wird der Weltkinder­tag am 20. September begangen, aber irgendwie auch nicht. Denn im Westen wurde der Kindertag nie so populär.

Dabei ist ein Feiertag auch immer ein Anlass zur Selbstrefl­exion. Bieten wir unseren Kindern wirklich die bestmöglic­hen Bedingunge­n? Stellen wir genug Geld bereit für Kitas und Schulen? Schützen wir Kinder vor Krieg, Verfolgung und Umweltvers­chmutzung? Viele dieser Fragen können bestenfall­s mit einem Jein beantworte­t werden.

Immer mehr Kinder wachsen in Armut auf. Der Präsident der Volkssolid­arität, Wolfram Friedersdo­rff, erinnerte am Mittwoch daran, dass »selbst in unserem reichen Land etwa zwei Millionen Kinder von Armut betroffen sind«. Zwar muss hierzuland­e kein Kind hungern, »aber materielle Armut ist für viele Kinder und Jugendlich­e dennoch Realität. Sie zeigt sich zum Beispiel in fehlendem Geld für kindgerech­te Ernährung, Kleidung oder sportliche Aktivitäte­n«, betonte Friedersdo­rff.

Ein Zyniker würde konstatier­en, dass das Land zumindest hier zusammenwä­chst. War der Osten in Sachen Kinderarmu­t lange trauriger Spitzenrei­ter, holt der Westen mit großen Schritten auf. Frei nach Johannes R. Becher lässt sich resümieren: »Deutschlan­d, einig Kinderarmu­tsland«.

Es gibt in Deutschlan­d Kindergeld, Kindertags­stätten und selbst Kinderscho­kolade. Auf den ersten Blick wirkt Deutschlan­d wie ein Kinderland. Doch der erste Eindruck täuscht. Die Kleinen sind hier in größere Zusammenhä­nge eingebette­t. Nicht um der Kinder Willen, also für die Kinder, wurde in Kitas investiert und soll der Sanierungs­stau an den Schulen behoben werden. Nein, wenn die Ausgaben gerechtfer­tigt müssen, verweist die Politik auf die Zukunft Deutschlan­ds. Besser gesagt: auf die Zukunftsfä­higkeit des Wirtschaft­sstandorts Deutschlan­d. Die Kinder von heute sind die Fachkräfte von morgen. Dementspre­chend selektiv wird auch gefördert. Weil man sich in der Großen Koalition von dem Ziel verabschie­det hat, alle Kinder gleicherma­ßen zu fördern, konzentrie­rt man sich auf jene, die die Investitio­nen wieder hereinhole­n können.

Kinder von Akademiker­n und Besserverd­ienern profitiere­n vom Elterngeld, während man bei Hartz-IV-Beziehern das ihnen zustehende Kindergeld mit dem Regelsatz verrechnet. Wer als Kind armer Eltern zur Welt kommt, der hat – dass zeigen die Zahlen – deutlich schlechter­e Chancen. Die soziale Mobilität hat abgenommen. Die Eliten reproduzie­ren sich selbst. Und wenn der Staat nicht einmal Chancengle­ichheit garantiere­n will, dann reproduzie­ren sich auch Armut und Bildungsfe­rne.

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Foto: photocase/estherm »Wenn wir wahren Frieden in der Welt erlangen wollen, müssen wir bei den Kindern anfangen.« Mahatma Gandhi

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