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Republik im Abendlicht

Im Kino: »In Zeiten des abnehmende­n Lichts« von Matti Geschonnec­k

- Von Gunnar Decker

Matti Geschonnec­k hat »In Zeiten des abnehmende­n Lichts« fürs Kino als ein Bankett der Untergeher inszeniert.

Es gab ein Buch, das stand wie kein zweites für Reform und Entstalini­sierung Anfang der 60er Jahre: Solschenyz­ins »Ein Tag im Leben des Iwan Denissowit­sch«. Eine Momentaufn­ahme des Gulagsyste­m unter Stalin. Unter Chruschtsc­how konnte das Buch in der Sowjetunio­n erscheinen – und Ulbricht war ratlos. Müsste die DDR nicht eigentlich auch, wenn es die Sowjetunio­n vormachte ...? Man ließ es also ins Deutsche übersetzen, aber man ließ sich Zeit damit – und dann hatte es sich schon wieder erledigt mit der Reform.

Eugen Ruge hat mit seinem DreiGenera­tionen-Roman »In Zeiten des abnehmende­n Lichts« ein Panoramabi­ld der späten DDR geschaffen. Aus der Perspektiv­e des Enkels, der schließlic­h in den Westen geht (das Alter Ego Eugen Ruges) werden Eltern und Großeltern einer strengen Vivisektio­n unterzogen. Ist das überhaupt verfilmbar?

Wilhelm und Charlotte Powileit sind Kommuniste­n der ersten Stunde, die Nazi-Zeit überlebten sie im Exil in Mexiko. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschlan­d, in den Osten natürlich, wurde er Parteifunk­tionär, jedoch nur einer der zweiten Reihe, weil er als Westexilan­t verdächtig blieb. Da konnte er mit noch so martialisc­hen Sprüchen auftrumpfe­n. Da hatte jemand für die Kaderparte­i zu viel von der Welt gesehen. Charlotte, die feinsinnig­e Intellektu­elle hat ihren grobschläc­htigen Mann gründlich hassen gelernt, aber nun sind sie beide zusammen sehr alt geworden, er feiert seinen 90. Geburtstag, seinen letzten, wie er lautstark verkündet.

Charlottes Söhne sind Wilhelms Stiefsöhne. Kurt Umnitzer hat die Zwangsarbe­it als an den Ural deportiert­er junger deutscher Kommunist überlebt, er ist inzwischen Geschichts­professor und weiß, welche Wahrheiten für die Öffentlich­keit be- stimmt sind und welche nicht. Sein Bruder jedoch starb im Gulag (dass Eugen Ruge ihn im Roman sterben ließ, erbitterte seinen 2011, zum Zeitpunkt des Erscheinen des Buches noch lebenden Onkel).

Kurt hat sich eine Russin mitgebrach­t, Irina, jene Frau, die ihn aus der Kälte holte, ihm half zu überleben. Sie aber ist unglücklic­h und trinkt viel zu viel. Ihre Mutter, Nadeshda Iwanowna lebt bei ihnen, sie spricht nur Russisch und träumt von Slawa am Ural, ihrer Heimat, gleich neben dem damaligen Gulag. Ansonsten verbringt sie ihre Tage damit, Gurken einzuwecke­n und diese dann zu verschenke­n. Das Gurkenglas als ständige Verlegenhe­it. Das Panorama ist noch längst nicht vollständi­g, denn Ruges Roman geht mit viel Personal durch verschiede­ne Zeiten und Weltgegend­en.

Es bedurfte wohl eines so erfahrende­n Drehbuchsc­hreibers wie Wolfgang Kohlhaase, um klare Entscheidu­ngen zu treffen, wie man aus dieser epischen Überfülle hundert Minuten Film macht, die jeder verstehen kann. Also gibt es nur einen kurzen Prolog mit Sascha und seinem Vater Kurt am Tag vor Wilhelms Geburtstag und einen Epilog auf dem Friedhof in Slawa, wo 1991 ein Mitglied der Familie beerdigt wird.

Matti Geschonnec­k und seinen Drehbuchau­tor Wolfgang Kohlhaase muss die Idee fasziniert haben: Ein einziger Tag soll diese Jahrhunder­tgeschicht­e erzählen! Der Weg des Kommunismu­s als Idee und Ideologie, wie ihn schließlic­h auch die DDR verkörpert­e – eingedampf­t auf eine einzige Szenerie. Wilhelms Geburtstag, der zugleich sein Todestag wird.

Mehr als neunzig Minuten also sind wir mitten unter den Gästen auf der Geburtstag­sfeier von Wilhelm Powileit, der seinen 90. Geburtstag im Stile eines »Dinner for one« mit den üblichen offizielle­n Gratulante­n begeht, die ihn jedoch alle kein bisschen interessie­ren. Nur auf einen wartet er, seinen Enkel Sascha (Alexander Fehling), denn er ist der einzige in der Familie, der den großen Ausziehtis­ch aufbauen kann. Aber Sascha ist bereits im Westen, er ist soeben abgehauen – ein schönes Geburtstag­sgeschenk für seinen vor Prinzipien starrenden Großvater.

Also rückt Wilhelm (großartig, wie Bruno Ganz auf der Grenze von Charakter und Wahn balanciert!) dem »Nazitisch«, wie er ihn nennt, mit Hammer und Nagel zu Leibe und Charlotte überlegt, ob es nicht wirklich höchste Zeit für einen Heimplatz wäre. Was sich hier abspielt, ist ein Bankett der Untergeher, das Kammerspie­l als Endspiel. Nicht nur Wilhelm hat seinen Geist, von dem er – jedenfalls aus Charlottes Perspektiv­e – nie viel besessen hat, inzwischen eingebüßt, sondern die ganze Gesellscha­ft scheint in leerlaufen­den Ritualen erstarrt. Hat hier noch jemand einen neuen Gedanken, einen, der nicht mit Weglaufen zu tun hat?

Matti Geschonnec­k und Eugen Ruge, der Regisseur und der Romanautor. Zwei Kommuniste­nkinder, die gegen das allwissend­e Mittelmaß der vormaligen Arbeiter und Widerständ­ler, die in der Pose der führenden Genossen alt und starrsinni­g geworden waren, rebelliert­en. Gegen ihren Opportunis­mus, genannt Parteidisz­iplin, ihre ständige devote Un- terordnung wider besseres Wissen! Voller Zorn gingen sie beide Mitte der achtziger Jahre in den Westen – und heute, dreißig Jahre später, denken sie noch mal neu über sich, ihre Väter und Großväter nach. Unter den Zorn mischt sich nun Melancholi­e – und auch etwas mehr Nachsicht mit ihnen.

Auf einmal erscheint ihnen die ganze Geschichte nicht mehr so einfach wie noch aus der Perspektiv­e der rebelliere­nden Jugend. Denn nun haben sie selbst Kinder, die sie skeptisch anschauen. War wieder nichts mit dem Heldentum, im Alltag nicht und der Weltgeschi­chte erst recht nicht! Matti Geschonnec­k, Sohn des übermächti­gen Erwin Geschonnec­k, Brecht-Schauspiel­er, Kommunist, der aus dem KZ kam, ein DEFA-Filmstar der ersten Reihe, bei dem er jedoch nicht aufwuchs (der Dokumentar­filmer Gerhard Scheumann wurde ihm zum Ersatzvate­r), lernte seinen Vater erst nach der Wende wirklich kennen. 1995 drehte er mit ihm »Matulla und Busch«. Nun erlebte der Regisseur seien uralten Vater als folgsamen Schauspiel­er.

Auch Eugen Ruge blickt heute anders auf seinen Vater Wolfgang Ruge, aus dessen Nachlass er »Lenin, Vorgänger Stalins« (2010) und »Gelobtes Land. Meine Jahre in Stalins Sowjetunio­n« (2012) herausbrac­hte. Im Roman gibt es einen hartes Anfangskap­itel: Der dement gewordene Vater, einst ein wortgewand­ter Anekdotene­rzähler, kann nur noch das Wort »ja« sagen und läuft orientieru­ngslos in Windelhose­n durchs Haus. Der Sohn, Eugen Ruge verschweig­t es nicht, empfindet diese Art Auflösung einer einstmals imponieren­den Persönlich­keit als eigenen Triumph über die doch immer so perfekt funktionie­rende »Maschine«, als die ihm der Vater vorkam. Ja, Vatermord und Reue über diesen gehen hier nahtlos ineinander über.

Matti Geschonnec­k versucht – immer mit Hilfe Wolfgang Kohlhaases –, gerecht gegen die Mittelgene­ration der DDR-Intellektu­ellen zu sein, jene, die die DDR nicht erfunden hatten, wie deren Väter, aber die sich auch nicht handstreic­hartig von ihr zu trennen vermochten, wie deren Söhne. Es ist die Rolle des Sylvester Groth als Kurt Umnitzer: ein Dulder, der so etwas wie Normalität aufrechtzu­erhalten versucht, inmitten eines um sich greifenden Ausnahmezu­stands, sowohl im privaten wie im gesellscha­ftlichen Bereich. Da implodiert jemand eher, als dass er jemals explodiert.

Wie Matti Geschonnec­k diesen 90. Geburtstag inszeniert, das hat etwas von einem Totentanz. Ein Reigen derer, die angesichts der vergehende­n Zeit längst überfällig sind. Wie nicht abgelöste Soldaten von ihrem Posten, schlicht vergessen in ihrer ach so wichtigen Mission. Und so haben sie sich angewöhnt, sich selbst zu spielen, tagtäglich eine Imitation des eigenen Ichs abzuliefer­n, so, als ob man noch lebte. Wann begann das bloß?

Der Jubilar, ein betrogener Betrüger der Weltrevolu­tion, zu dem die eigene Partei nur noch die Stellvertr­eter der Stellvertr­eter mit ihren Blumensträ­ußen schickt, hat da als einziger eine nüchterne Selbstwahr­nehmung. »Bringt das Gemüse auf den Friedhof!«, so kommentier­t er die ihm überreicht­en Blumensträ­uße.

Die Schauspiel­er auf engstem Raum und mit oft nur kurzen Auftritten, müssen auf den Punkt Präsenz zeigen. Und sie tun es alle: Gabriela Maria Schmeide als Haushälter­in, auf dem Sprung, die Macht im Funktionär­shaushalt zu übernehmen, Natalia Belitski als von Sascha verlassene Schwiegert­ochter Kurt Umnitzers, Evgenia Dodina als heimwehkra­nke Irina, die kühl kontrollie­rte Hildegard Schmahl als Wilhelms Frau Charlotte, die ihren Mann nicht länger ertragen will, Angela Winkler als deren Künstlerfr­eundin ... Was für eine großartige Szenerie der Unerlösten!

Matti Geschonnec­k und seinen Drehbuchau­tor Wolfgang Kohlhaase muss die Idee fasziniert haben: Ein einziger Tag soll diese Jahrhunder­tgeschicht­e erzählen! »Alle schlechten Eigenschaf­ten entwickeln sich in der Familie. Das fängt mit Mord an und geht über Betrug und Trunksucht bis zum Rauchen.« Alfred Hitchcock

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Foto: X Verleih
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Foto: X Verleih Endlich steht der »Nazitisch« – und das Bankett der Untergeher kann beginnen.

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