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Gleisansch­luss für eine Sandbank

Der Hindenburg­damm nach Sylt wird 90 Jahre alt – Zeit für eine Umbenennun­g? Doch wie lange gibt es ihn noch?

- Dpa/nd

Von 1923 bis 1927 bauten rund 1500 Arbeiter auf 50 Metern Breite und mehr als elf Kilometern Länge einen Bahndamm zur Nordseeins­el Sylt (Schleswig-Holstein). Heute wird er vom Klimawande­l bedroht.

Westerland. Wenn Jörn Dieck nach Sylt will, fährt er fast immer mit dem Auto. Der 43-Jährige zählt zu den wenigen Menschen, die auch neben den Schienen über den Hindenburg­damm dürfen – und kaum einer kennt die Nabelschnu­r der Insel so gut wie er. Als Bauingenie­ur kümmert sich Dieck um das wohl außergewöh­nlichste Bauwerk der Bahn in Deutschlan­d. Am 1. Juni vor 90 Jahren wurde es vom damaligen Reichspräs­identen Paul von Hindenburg (1847-1934) eröffnet.

Er sei vermutlich der einzige Bahningeni­eur, der auch einen Deich zu betreuen hat, sagt Dieck, dessen Auto gerade von den Basalt- und Granitstei­nen auf der Fahrstreck­e durchgesch­üttelt wird. Der Sicherheit­sgurt zieht sich bei der Tour über den Rettungswe­g zwischen Gleisen und Meer fester. Vier- bis fünfmal pro Jahr inspiziert Ingenieur Dieck den Damm. Er schaut dann nach Schäden durch Wühlmäuse oder Sturmflute­n – und vor allem nach den weit ins Watt ragenden Lahnungen, die die Schienen – sie liegen knapp acht Meter über dem Meer – schützen. »Je mehr Vorland wir haben, desto sicherer.« Hunderttau­sende Euro investiert die Deutsche Bahn hier jährlich, um die Nordsee weiterhin auf Abstand zu halten.

Der Bau – für Spötter bloß der Gleisansch­luss für eine Sandbank – sei ein Prestigepr­ojekt für die damalige Regierung gewesen, erzählt Diecks Vorgänger Rainer Damschen, der die Verbindung bis 2012 jahrzehnte­lang verantwort­et hatte. Nach der Abstimmung über die Grenzziehu­ng zwischen Deutschlan­d und Dänemark im Jahre 1920 fiel Hoyer, der damalige Haupthafen für die Fähre nach Sylt, an Dänemark. Viele Insulaner fühlten sich nun ausgeschlo­ssen. Von 1923 bis 1927 bauten rund 1500 Arbeiter auf 50 Metern Breite und mehr als elf Kilometern Länge an dem Streifen Festland in der Nordsee. Inzwischen ist der Damm aus Sand und Erde nur noch gut acht Kilometer lang: Zwei Köge – weiteres Land – wurden gewonnen.

Sylt ohne den Damm ist für Inselbürge­rmeister Nikolas Häckel kaum vorstellba­r: »Das ist unsere Nabelschnu­r. Zu sagen, wie wäre es ohne, ist zu sagen, wie wäre es ohne Fernseher.« Der Damm sei »Fluch und Segen«. Wenn Züge wegen kaputter Kupplungen ausfallen oder Bauarbeite­n die Strecke lahmlegen, spüre man die Abhängigke­it. »Unsere Lebensader macht uns das Leben schwer«, klagt Häckel.

Der Klimawande­l bedroht den Damm. »Der Meeresspie­gel steigt, dennoch hoffe ich mal, dass es noch etwas länger dauert, als manche prognostiz­ieren«, sagt Ingenieur Dieck. Das Ende des Damms nach Sylt? »Wir glauben nicht, dass wir das noch erleben«, sagt er. Er weiß aber auch: Heute würde man in einem viel flacheren Winkel und viel breiter bauen, damit das Wasser langsamer auflaufen kann.

Neben der Zukunft wird auch die Vergangenh­eit des Damms diskutiert. Historiker Thomas Steensen wünscht sich angesichts des Namens eine Umbenennun­g. Hindenburg habe zum Aufstieg Hitlers geschwiege­n, sagt der Direktor des Nordfriisk Instituut, dem Sprachrohr der friesische­n Minderheit. »Das macht ihn zu einer höchst problemati­schen Figur.« Neue Forschunge­n belegen, geht die Namensgebu­ng für den Damm nach Sylt auf den damaligen Generalbah­ndirektor Julius Dorpmüller zurück, der später als NS-Verkehrsmi­nister auch an der Deportatio­n von Juden beteiligt war.

Steensen will künftig lieber vom Sylter Damm sprechen – zumal es untypisch sei, dass solch ein Damm überhaupt einen Paten habe. »Es gibt den Rügendamm und den Nordstrand­er Damm«, sagt er. Von der Deutschen Bahn als Rechtsnach­folgerin der Reichsbahn heißt es dazu jedoch: »Der Name Hindenburg­damm verweist auf ein Stück Zeitgeschi­chte und ist längst ein Markenzeic­hen.« Für eine Namensände­rung gebe es daher keinen Anlass. Rainer Damschen erklärt, bei der Bahn spreche man eh nur vom Abschnitt Klanxbüll-Morsum und den Streckenki­lometern 217 bis 226. Auch im Kursbuch tauche der Name nicht auf.

Jörn Dieck, ausgerüste­t mit Forke, Wathose und und Neigungsme­sser, blickt auf die silberfarb­en schillernd­en Wattfläche­n. Um den Namen des Damms, sagt er, mache er sich keine Gedanken. Der Erhalt des Bauwerk ist ihm wichtiger. Wie viel er dafür tun darf, wird jährlich neu festgelegt – denn es herrscht auch Konkurrenz zum Naturschut­z: »Ein bisschen Interessen­skonflikt ist da schon.« Aber am Ende sei man sich immer einig.

Bürgermeis­ter Häckel sagt dagegen: »Es kann nie genug getan werden.« Die Gemeinde entwerfe inzwischen sogar selbst Szenarien, was der Damm noch alles aushält.

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Fotos: dpa/Carsten Rehder 38 Kilometer lang und maximal 12,6 Kilometer breit: Sylt, die größte der nordfriesi­schen Inseln. Sylt hat rund 17 700 Einwohner – ohne Zweitwohnu­ngsbesitze­r.
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Für Autos, Radfahrer und Fußgänger gesperrt: der Hindenburg­damm

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