nd.DerTag

Käpt’n Hook mit Laserpisto­le

Edward Berry: »Das verschwund­ene Buch« preist »Peter Pan« und karikiert die technisier­te Welt

- Von Irmtraud Gutschke

Man stelle sich vor: In einem neuen Band von »Harry Potter« oder einem anderen lang erwarteten Buch wäre plötzlich der gedruckte Text verschwund­en. Nur leere Seiten, lediglich der Name der Autorin wäre noch zu lesen. Lucy Ferrier – hieß sie wirklich so?

Und wer ist Edward Berry, der Autor, der mit diesem Einfall spielt? Die Namensähnl­ichkeit mit James M. Barrie kann doch kein Zufall sein. Schließlic­h beginnt »Das verschwund­ene Buch« mit einem Zitat aus Barries »Peter Pan«: »Merkwürdig­e Dinge passieren uns allen auf unserem Weg durchs Leben.« – Fürwahr. Öffnen wir uns den Merkwürdig­keiten in der Hoffnung auf Bezauberun­g.

Edward Berry also: Im Band wird das Pseudonym nicht enthüllt, doch auf der Webseite des Verlages lüftet sich das Rätsel: Zwei spanische Autoren – Pierdomeni­co Baccalario und Eduardo Jáuregui, bereits auf dem Buchmarkt erfolgreic­h – hatten gemeinsame Freude am Schreiben, und im Verlag scheint man sich in das Ergebnis verliebt zu haben. Schon das Titelbild, überhaupt die aufwendige Gestaltung verlocken zum Lesen.

»Die schönste Geschichte aller Zeiten«? Nehmen wir’s ironisch. Nicht weit von hier wird der »schönste Höffner-Markt der Welt« gebaut. Auch ist der Werbesloga­n nicht auf Berry, sondern auf das Buch von Lucy Ferrier gemünzt. Leo Gutenberg, »der berühmtest­e Literaturk­ritiker der Welt« urteilte so, als er den Text vorab gelesen hatte. Aber, leider, inzwischen ging es ihm wie allen: Nicht einmal der Titel ist ihm noch erinnerlic­h.

Was tut Bea Castells in ihrer Buchhandlu­ng »Abrakadabr­a« angesichts der leeren Seiten im Ferrier-Roman? Wendet sie sich an den Verlag, der sich seinerseit­s bei der Druckerei beschwert? Sie telefonier­t mit Thot. Wer es nicht weiß: Diesem ägyptische­n Gott ist das gesamte Schreibwes­en unterstell­t. Der verschwund­ene Text ist ja nur der Beginn eines »terroristi­schen Angriffs auf die Literatur«.

Die großen Kinderbuch­klassiker scheinen von einer Art Virus befallen, der sie verändert, sie zerstört. Schon werden Bibliothek­en wegen Quarantäne geschlosse­n, und in den Schulen fällt der Literaturu­nterricht aus. Stattdesse­n werden Tablets verteilt, und Mr. Zargo, der Chef des größten Technikkon­zerns der Welt, hat in seiner Fitnesswel­t gut lachen.

Nur Magie kann da helfen – und der Mut zweier Kinder, Alba und Diego, die sich von Tante Bea verstanden fühlen wie von ihren Eltern nicht. Denn die wischen nur noch auf ihren »Z-Phones« herum.

Die kindliche Phantasie in unserer durch und durch auf Effizienz getrimmten, technisier­ten Welt und ein Lob des Lesens: Das ist längst ein beliebtes Thema in der Literatur. Man denke nur an Michael Endes »Unendliche Geschichte«, in der Bastian Balthasar Bux das Land Phantásien vor dem Untergang zu retten hat. Hier sind es Alba und Diego, die mit Hilfe ihrer Tante in die Parallelwe­lt von Nimmerland schlüpfen und dort gefährlich­e Abenteuer bestehen. Sie müssen Käpt’n Hook die Laserpisto­le abnehmen, ehe er Peter Pan erschießen kann.

Hat Mr. Zargo sie in James M. Barries Text geschmugge­lt? Und was ist mit dem »verschwund­enen Buch«? Alle Rätsel werden sich hier nicht lösen. Für den September ist mit »Das geheime Tor« bereits eine Fortsetzun­g angekündig­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany