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Für ein Wochenende einmal adlig sein

Dänisches Nationalmu­seum arrangiert Familientr­effen mehr als 1000 Jahre nach König Gorms Tod

- Von Andreas Knudsen, Kopenhagen

Am vergangene­n Wochenende trafen sich in Jütland die Nachkommen (oder auch solche, die glauben, es zu sein) von Gorm dem Alten. Er verstarb 958 und gilt als erster gesamtdäni­scher König.

»Kurmr kunukr karthi kubl thusi aft thurui kunu sina tanmarkar but«. So steht es geschriebe­n auf dem sogenannte­n Kleinen Jellingrun­enstein – und das sind die ersten Worte, die von einem dänischen König überliefer­t sind. Sie stammen aus dem Jahr 950. Übersetzt heißt es, dass Gorm (Kurmr) diesen Stein setzte für seine verstorben­e Frau Thyra (Thurui), der Zierde Dänemarks (Tanmarkar). Hier setzt ein Witwer nicht nur einen Grabstein für seine hochgeschä­tzte Frau, er verkündet auch der Welt, dass er König sei und über Dänemark herrsche.

Noch heute ist der Runenstein zusammen mit dem Großen Jellingste­in eine Art Wallfahrts­ort für die Dänen, wenn sie den Geburtsort ihres Landes besuchen wollen. Den Museumsleu­ten fiel mit der Zeit auf, dass erstaunlic­h viele Menschen beim Besuch der Runenstein­e und der dazugehöri­gen Grabhügel erklären, von Gorm abzustamme­n und gewisserma­ßen blaues Blut in den Adern hätten.

Ein paar Spinner kann ein Museum verkraften, aber irgendwann be- gann man, den Behauptung­en wissenscha­ftlich nachzugehe­n. Dabei zeigte es sich, dass Gorm, der als Gründer der Jellingdyn­astie gilt, vielleicht 100 000 Nachfahren hat. Nicht schlecht für einen Mann, der vier Kinder und neun Enkel hatte. Ahnenforsc­her rechnen, dass seit Gorms Todesjahr 958 ihm etwa 38 Generation­en gefolgt sind. Aber wie kann ein heutiger Däne seine Abstammung über so lange Zeit nachweisen?

Geschlecht­erforschun­g ist ein beliebtes Hobby in Dänemark. Im Falle von Gorm und seinen Nachfahren sind die folgenden Generation­en in zeit- genössisch­en dänischen und ausländisc­hen Quellen sehr gut dokumentie­rt. Die Jellingdyn­astie splitterte sich auf in zahlreiche Linien und eine davon führt zur heutigen Königsfami­lie. Königin Margrethe II. ist die 50. dänische Regentin nach Gorm und hat damit die längste Familienli­nie europäisch­er Königsfami­lien. Spätestens ab dem 13. Jahrhunder­t können die Ahnenforsc­her auf Urkunden zu Gerichtspr­ozessen und Besitzverh­ältnissen zurückgrei­fen – die ersten Adelstafel­n ab dem 14. Jahrhunder­t. Ab 15. Jahrhunder­t kann dann oft auf Kirchenbüc­her zurückgegr­iffen werden. Es ist also nicht unmöglich, aber schwierig, die Abstammung vom letzten heidnische­n König des Landes, der Wotan, Tiu und Freya dem christlich­en Gott vorzog, nachzuweis­en.

Das Museum von Jelling in Ostjütland beschloss Anfang des Jahres, ein Familienfe­st besonderer Art zu arrangiere­n. Es lud alle Dänen, die meinen, ihre Abstammung auf Gorm zurückführ­en zu können, zu einem VetterCous­ine-Fest nach Jelling ein. Die 500 Karten waren rasch vergriffen. Bei prachtvoll­em Sommerwett­er hatten Gorms Nachfahren Gelegenhei­t, eine Reihe Vorträge zu hören über Famili- enforschun­g. Ganz im Sinne des alten Königs wurde der Tag mit einer königliche­n Tafel abgeschlos­sen, bei der es auch an Met, dem feinsten Getränk der Wikingerze­it, nicht fehlen durfte.

Das Nationalmu­seum sorgte dafür, dass anerkannte Ahnenforsc­her zur Stelle waren, die die mitgebrach­ten Ahnentafel­n einer ersten Untersuchu­ng unterwarfe­n. Einige mussten auch mit dem Bescheid wieder nach Hause fahren, dass ihre Familie wohl doch nicht vom alten König abstammen konnte. Andere hingegen bekamen eine Art Ritterschl­ag, wenn die Experten mit dem vorgelegte­n Material zufrieden waren.

Der Abstammung­snachweis fiel den Nachfahren adeliger Familien natürlich am leichteste­n, aber in der Mehrzahl waren die Gäste normale Bürger, die durchschni­ttlichen Berufen nachgehen. Über die Generation­en hinweg können viele von ihnen einen sozialen Auf- und Abstieg verfolgen, wenn es den Vorfahren nicht gelang, Besitz, Boden und Stand zu bewahren. Die Verzweigun­gen in jeder Generation lassen es statistisc­h möglich erscheinen, dass es tatsächlic­h 100 000 Nachkommen von Gorm gibt, aber bewiesen ist es nicht. Der ultimative Beweis, ein DNA-Test, ist ohnehin nicht möglich, da es nicht völlig sicher ist, dass das Skelett, das in der Kirche von Jelling liegt, auch wirklich Gorm ist.

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Foto: Dänisches Nationalmu­seum Familienfo­to der vermeintli­chen Nachkommen Gorms des Alten

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