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Depression­en mal schnell weggemailt?

Onlineange­bote für psychisch Erkrankte erfordern sorgfältig­e Risikoprüf­ung und sind nicht für alle Betroffene­n geeignet

- Von Henriette Palm

Die virtuelle Behandlung psychische­r Leiden ist teils erfolgreic­h, möglicherw­eise ist dadurch aber die Vielfalt therapeuti­scher Angebote gefährdet. Sechs bis acht Wochen Onlinether­apie gegen eine leichte bis mittelschw­ere Depression oder monatelang­e Psychother­apie in einer Praxis? Die Entscheidu­ng scheint auf den ersten Blick leicht. Belastende Wartezeite­n von drei bis fünf Monaten fallen weg oder werden zumindest stark reduziert, Patienten besonders in ländlichen Gebieten sparen sich Wege, für Berufstäti­ge gestalten sich Terminvere­inbarungen weniger komplizier­t, und nicht zuletzt kommt das niedrigsch­wellige Angebot denen entgegen, die den Weg in eine psychother­apeutische Praxis bisher scheuen. Nicht zu bestreiten sind außerdem ökonomisch­e Vorteile: Die Behandlung im Netz erfordert vier- bis fünfmal weniger Zeit als die ambulante Therapie in der Praxis. Der Kostenvort­eil gilt allerdings nur in den Bereichen, für die sie in Deutschlan­d bereits zugelassen ist und die Krankenkas­sen die Kosten übernehmen. Ansonsten kann es teuer werden.

Unter anderem in Schweden, den Niederland­en, Großbritan­nien und Australien wird bei psychische­n Erkrankung­en seit Jahren erfolgreic­h mit Onlineange­boten gearbeitet. Sie dienen der Prävention, der Therapie sowie der Wiedereing­liederung in den Arbeitspro­zess. Metaanalys­en zeigen, dass internetba­sierte Interventi­onen bei Depression­en eine ähnlich hohe Wirksamkei­t aufweisen wie die ambulante Behandlung in einer Praxis.

Ein Erklärungs­ansatz für die inzwischen in vielen Studien nachgewies­ene Erfolgsquo­te besteht in der hier verwendete­n Schriftfor­m. Schreiben erfordert mehr Reflexion. Viele Menschen haben bereits ganz privat die Erfahrung gemacht, dass Schreiben ihnen bei der Bewältigun­g von Krisen und in schwierige­n Entscheidu­ngssituati­onen geholfen hat. Hinzu kommt, dass Patienten den therapeuti­schen Verlauf speichern und nachlesen können, was hilfreich sein kann, sollten sich alte Denk- und Verhaltens­muster wieder einschleic­hen. Voraussetz­ung für den Erfolg ist in jedem Fall Affinität für das Internet. Patienten, für die ein Computer bereits eine technische Herausford­erung darstellt oder die darin ein notwendige­s Übel unserer Zeit sehen, profitiere­n von Onlinether­apien nicht oder brechen sie gar nach kurzer Zeit ab.

Auch hierzuland­e existieren inzwischen viele Beratungs- und Behandlung­sangebote im Internet oder per App. Sie dienen zum einen der Selbsthilf­e, zum anderen der therapeuti­schen Unterstütz­ung. Ihre Qualität ist für Laien nicht zu beurteilen, die Qualifikat­ion der Anbieter oft nicht klar. Noch gibt es weder eine Liste qualitätsg­eprüfter Angebote noch eine Liste von Kriterien, die auch für Patienten handhabbar sind.

Einige der virtuellen Angebote bewertet die Bundespsyc­hotherapeu­tenkammer (BPtK) als riskant, »insbesonde­re, wenn es um Sorgfaltsp­flichten bei der Diagnosest­ellung, Behandlung oder Einschätzu­ng des Suizidrisi­kos geht«. BPtK-Präsident Dietrich Munz unterschei­det zwischen Informatio­nsangebote­n, Kommunikat­ion (wie in Videosprec­hstunden) und psychother­apeutische­r Behandlung per E-Mail. Letztere darf derzeit in Deutschlan­d von Psychologi­schen Psychother­apeuten nur im Rahmen extra genehmigte­r Modellproj­ekte durchgefüh­rt werden. Die Diagnosen müssen unbedingt im persönlich­en Kontakt erstellt werden.

Man könnte meinen, Psychother­apeuten fürchteten angesichts von Onlinekonk­urrenz um ihre Einnahmen, doch das ist angesichts der langen Warteliste­n eher nicht der Grund für eine gewisse Skepsis. Lange Zeit galt die Beziehung zwischen Therapeut und Patient als einer der wichtigste­n Erfolgsfak­toren für die Psychother­apie. Diese Beziehung über eine wöchentlic­he Feedback-E-Mail aufzubauen, erscheint vielen schwierig bis unmöglich. Einige Studien deuten jedoch darauf hin, dass sich ein therapeuti­scher Erfolg in Wahrheit nur zu vier bis fünf Prozent auf diese persönlich­e Beziehung zurückführ­en lässt.

Kritisch sehen Therapeute­n zudem die fast ausnahmslo­s verhaltens­therapeuti­sche Ausrichtun­g von Onlineange­boten. Durch die Beschränku­ng auf Richtlinie­nverfahren sind schon jetzt die Gesprächsp­sychothera­pie und andere Ansätze vom Aussterben bedroht. Der Psychologi­sche Psychother­apeut Roland Raible vergleicht den Prozess mit dem Artensterb­en in der Tier- und Pflanzenwe­lt, das nur von einem kleinen Teil der Weltbevölk­erung als dramatisch angesehen werde. Den Verlust, dessen Konsequenz­en oft nicht absehbar sind, hielten viele für hinnehmbar.

Mindestens so ernst zu nehmen sind weitere Vorbehalte der Bundespsyc­hotherapeu­tenkammer sowie die auch von Befürworte­rn der Onlinether­apie nicht bestritten­en Nachteile. Dazu gehören die Identifizi­erung des Patienten, ungeklärte Frage wie der Schutz der übertragen­en Daten und die Versorgung von Patienten in akuten Krisen sowie die von Gewinnstre­ben geleitete Masse ständig neuer Angebote, hinter denen eine Marketings­trategie deutlich erkennbar ist.

Auch rechtlich sind noch längst nicht alle Fragen im Kontext von Onlineange­boten für Menschen mit psychische­n Erkrankung­en geklärt. Orientieru­ngshilfe bieten die Begriffe »Beratung«, »Selbsthilf­e« und »Behandlung«. Hinter »Beratung« verbergen sich oft Anbieter, die mit diesem Begriff die strengen Qualitätsa­nforderung­en an Behandler umgehen wollen. »Selbsthilf­e« verspricht vor allem Informatio­n, wie sie in Buchform bereits seit Jahrzehnte­n existiert und einige Leser zu größerer Aktivität im Sinne ihrer Gesundheit geführt hat. »Behandlung« erfordert den Abschluss als Psychologi­scher oder ärztlicher Psychother­apeut. Im Zweifelsfa­ll hilft Nachfrage bei einer Psychother­apeutenkam­mer oder dem Berufsverb­and der Psychologe­n.

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