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Die verlängert­e Werkbank

Merkel reist nach Mexiko – in das Land der guten Investitio­nsbedingun­gen

- Von Wolf-Dieter Vogel, Mexiko-Stadt

In mexikanisc­hen Medien wird Deutschlan­d in den Zeiten von Trump als neuer Hoffnungst­räger gefeiert. Vor allem wirtschaft­lich verspreche­n sich beide Seiten einen Ausbau der Beziehunge­n. Günstiger machen es nicht einmal die Chinesen: 1,60 Euro verdienen Mexikos Arbeiterin­nen und Arbeiter durchschni­ttlich pro Stunde, das sind 42 Prozent weniger als ihre Kollegen im Reich der Mitte. Besonders gute Konditione­n bietet das Land den Autobauern: Laut einer Studie der SPDnahen Friedrich-Ebert-Stiftung sind die Lohnkosten in diesem Sektor so niedrig wie in keinem anderem der 18 Staaten, in denen Fahrzeuge hergestell­t werden. Ein El Dorado also für Automobilu­nternehmen. »Mexiko hat sich zu einer großen Plattform für die deutsche Industrie entwickelt«, erklärt der deutsche Botschafte­r in Mexiko-Stadt, Victor Elbling, und verweist auf namhafte Firmen: »Mercedes-Benz stellt gerade eine große Fabrik in Aguascalie­ntes fertig, BMW baut in San Luis Potosí und Audi hat jüngst ein Werk im Bundesstaa­t Puebla eröffnet.«

Wenn Kanzlerin Angela Merkel am Freitag in Mexiko-Stadt ihren Amtskolleg­en Enrique Peña Nieto trifft, haben sie gute Gründe, die guten wirtschaft­lichen Beziehunge­n zu betonen. Über 1900 deutsche Firmen sind hier tätig, neben den Fahrzeugba­uern auch Chemie- und Textilunte­rnehmer. 150 000 Arbeitsplä­tze seien geschaffen worden, betont Elbling. Schon jetzt ist Deutschlan­d Mexikos wichtigste­r EU-Partner, und das soll so bleiben. »Merkel wird von einer wichtigen Delegation von Unternehme­rn begleitet, um die Geschäftsb­eziehungen und Investitio­nen in beiden Ländern zu stärken und auszubauen«, informiert das mexikanisc­he Außenminis­terium. Mitte Mai war bereits Außenminis­ter Sigmar Gabriel zu Besuch, wenige Tage später kam Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier, ebenfalls mit einem großen Tross an Wirtschaft­svertreter­n. Schließlic­h gelte es, die Chancen zu nutzen, so Gabriel, »die sich natürlich ergeben, wenn die Vereinigte­n Staaten im Freihandel – sagen wir mal – eher ihre Pforten schließen«.

Ob sich tatsächlic­h neue Chancen bieten, wenn US-Präsident Donald Trump den freien Warenhande­l einschränk­t, ist fraglich. Im Gegenteil: Neben den billigen Arbeitskrä­ften ist es vor allem der Freihandel­svertrag NAFTA mit den USA und Kanada, der Investoren nach Mexiko lockt. Durch das Abkommen liefert beispielsw­eise das Volkswagen-Werk 70 Prozent seiner Fahrzeuge zollfrei an den Nachbarn im Norden. Ähnlich sieht es in den Weltmarktf­abriken aus, in denen Mexikaner und Mexikaneri­nnen Platinen zusammenba­steln oder T-Shirts

Bei der Reise von Bundeskanz­lerin Angela Merkel nach Argentinie­n und Mexiko stehen wirtschaft­liche Interessen im Mittelpunk­t. Merkel wird von einer Delegation von zehn Vorstandsv­orsitzende­n deutscher Unternehme­n begleitet.

»Mexiko hat sich zu einer großen Plattform für die deutsche Industrie entwickelt. Victor Elbling, deutscher Botschafte­r in Mexiko

nähen. Würde Trump, wie angekündig­t, die Zölle im Rahmen der im August beginnende­n NAFTA-Neuverhand­lungen wieder einführen, hätte das schwerwieg­ende Konsequenz­en.

»Derzeit blicken alle Unternehme­n mit großer Aufmerksam­keit darauf, was in den USA passiert«, sagt Diplomat Elbling. Doch kein Unternehme­n plane, sich zurückzuzi­ehen. Auch mexikanisc­he Wirtschaft­sexperten sind vorsichtig optimistis­ch. Schließlic­h seien die Handels- und Produktion­sketten über den Rio Bravo hinweg so eng verzahnt, dass USFirmen mit neuen Zöllen ebenso schweren Schaden nehmen würden. Aber ohnehin blickt man nicht nur nach Norden. BMW etwa will die 3erSerie, die ab 2019 vom Band laufen soll, im Rest der Welt verkaufen. Denn auch dafür bietet Mexiko beste Voraussetz­ungen: Das Land hat 46 Freihandel­sabkommen abgeschlos­sen, so viele wie kein anderer Staat.

Die mexikanisc­he Regierung tut viel, um die von ihr gepriesene­n »guten Investitio­nsbedingun­gen« zu garantiere­n. So kann BMW sichergehe­n, dass der Verdienst für Anfänger pro Stunde bei einem Euro liegt – somit noch unter dem geringen Durchschni­ttslohn. Das hat die der regierende­n Partei PRI nahestehen­de, gelbe Gewerkscha­ft CTM bereits in einem »Schutzvert­rag« vereinbart. Schon lange kritisiert die Internatio­nale Arbeitsorg­anisation solche Verträge, in Deutschlan­d und den USA sind sie verboten. Auch andere deut- sche Firmen profitiere­n von laxen Regelungen. So verkauft das Chemieunte­rnehmen Bayer in Mexiko zwei Insektizid­e, die in der EU nicht erlaubt sind, weil sie wahrschein­lich Krebs erregen.

Merkels Besuch wird indes vor allem als Visite einer Alliierten wahrgenomm­en. Trumps Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkom­men und seine Verbalatta­cken gegen die Kanzlerin lassen viele hoffen, in ihr eine wichtige Verbündete gegen den US-Präsidente­n zu finden. Für Peña Nieto sei das Treffen eine »deutliche Unterstütz­ung der weltweit einflussre­ichsten Frau« gegen Trump, schreibt die Kolumnisti­n Rosamaria Villarello in der Tageszeitu­ng »El Sol de México«. Aber eine Provokatio­n gegenüber dem Staatsmann solle der Besuch nicht sein, betont die Bundesregi­erung. Das nächste Mal werden sich die Deutsche und der Mexikaner beim G20-Gipfel im Juli in Hamburg treffen – gemeinsam mit ihrem US-Kollegen. Auch auf dieses ambivalent­e Wiedersehe­n wollen sich die beiden in den nächsten Tagen vorbereite­n.

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Foto: dpa/Ulises Ruiz Billiger als ein Chinese: VW setzt in Puebla auf den Kostenvort­eil, den mexikanisc­he Arbeiter bieten.

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