Neokoloniale Offensive der EU in Mexiko
Globalabkommen ignoriert Menschenrechte de facto
In Argentinien spielten beim Besuch von Angela Merkel die Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit eine Rolle, die in Mexikos Gegenwart fallen unter den Tisch. Mehr Handel, mehr Investitionen, mehr Märkte – seit einem Jahr verhandeln die mexikanische Regierung und die EU über die Modernisierung ihres Globalabkommens. Man wolle eine »Win-Win-Situation« schaffen, erklärt die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström, ihr Kollege Ildefonso Guajardo spricht von wichtigen Schritten, »um viele zu restriktive Geschäftsfelder zu liberalisieren«. Der seit 2000 gültige Vertrag beinhaltet zwar auch politische und soziale Kriterien, bei den Verhandlungen stehen jedoch wirtschaftliche Interessen im Vordergrund. Europäische Unternehmen sollen besseren Zugang zu öffentlichen Aufträgen, zum Dienstleistungsmarkt sowie zum Rohstoff- und Energiesektor bekommen. Mexikos Regierung hofft auf mehr Investoren und Exporte, wenn das modernisierte Abkommen wie geplant 2018 in Kraft tritt.
Organisationen der mexikanischen Zivilgesellschaft sprechen dagegen von einer »neuen neokolonialen Offensive«. Das Abkommen laufe Gefahr, die Menschenrechtskrise und die Gewalt noch zu vertiefen, warnen über 100 Nichtregierungsorganisationen in einer Stellungnahme, die sie vor dem Besuch von Kanzlerin Angela Merkel veröffentlicht haben. Da die EU die Saatgut-Industrie stärken wolle, befürchten sie, dass Mexikos Kleinbauern die Kontrolle über ihren Anbau verlieren. Schon jetzt sind viele gezwungen, Samen zu kaufen, anstatt ihre eigenen von Ernte zu Ernte weiter zu nutzen.
2014 hat die Regierung den Weg für die Privatisierung der staatlichen Erdölindustrie PEMEX frei gemacht, zudem wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Konzessionen für den Bergbau ausgestellt. In beiden Bereichen rufen Investitionen oft gewalttätige Konflikte hervor. Der Abbau von Edelmetallen führt immer wieder zu Spannungen, weil die Mächtigen in den Dörfern davon profitieren, während andere damit leben müssen, dass ihre natürlichen Lebensgrundlagen zerstört werden. Die international vorgeschriebene Vorabbefragung indigener Gemeinden, wenn auf ihrem Land Großprojekte geplant sind, findet häufig nicht oder unter fragwürdigen Vorzeichen statt.
Eine jüngst von Brot für die Welt, Misereor und dem Lateinamerika-Forschungszentrum FDCL herausgegebene Studie zum Globalabkommen spricht von einer »Goldgräber- stimmung« im Energiesektor. Sie verweist auf eine 5000 Mann starke Polizeitruppe, die den Widerstand gegen solche Projekte brechen soll. Eines der Ziele dieser Einheit sei es, so zitiert sie den mexikanischen Außenminister Luis Videgaray, »sie in Gebiete mit wirtschaftlichen Aktivitäten zu entsenden – und dies zweifellos auch in der Energieindustrie«.
In viele lokale Konflikte sind Unternehmer, Politiker und Polizisten ebenso involviert wie die organisierte Kriminalität. Die Auseinandersetzungen sind mit verantwortlich dafür, dass in den vergangenen zehn Jahren etwa 150 000 Menschen ermordet und 32 000 verschwunden sind. Dennoch, so kritisieren Nichtregierungsorganisationen (NRO), sei die im Globalabkommen verankerte »demokratische Klausel« nie zum Einsatz gekommen. Nicht einmal, als 2014 beim Angriff von Polizisten und Kriminellen 43 Studenten in Ayotzi- napa verschwanden – bis heute fehlt jede Spur von ihnen. Dabei verpflichteten sich beide Partner in der Klausel dazu, den Vertrag bei Menschenrechtsverletzungen teilweise oder vollständig auszusetzen.
Auch eine Untersuchung des Europäischen Parlaments kam jüngst zu dem Schluss, dass die im Rahmen des Vertrags stattfindenden Treffen nur die wirtschaftlichen Gewinne, nicht aber die Wirkung des Abkommens auf die Gesellschaft im Blick hätten. Damit sich das ändert, haben mexikanische und deutsche NRO Kanzlerin Merkel in einem gemeinsamen Brief nahegelegt, »dass die Installierung effizienter Mechanismen in Bezug auf die Kooperation, die Einhaltung und die Stärkung der Menschenrechte sowie die Bekämpfung von Korruption und Straflosigkeit zur Grundbedingung für die Modernisierung der Beziehungen gemacht werden«.