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Teheran setzt zunächst auf kaltes Kalkül

Nach den Anschlägen sind die Hintergrün­de unklar

- Von Oliver Eberhardt, Teheran »Dies ist eine unfassbar gefährlich­e Situation.«

Der Schock sitzt tief: Attentäter hatten am Mittwoch das iranische Parlament und das Grabmal von Revolution­sführer Khomeini angegriffe­n; mindestens sieben Menschen wurden getötet.

Die Anschläge trafen die Islamische Republik ins Herz: Der 1989 verstorben­e Ayatollah Khomeini wird hoch verehrt; das Parlament ist, auch wenn seine Machtbefug­nisse eingeschrä­nkt sind, ein Symbol des Nationalst­olzes. Dass es einer bislang unbekannte­n Zahl von Attentäter­n gelang, im Abstand von einer halben Stunde vor dem Grabmal eine Bombe zu zünden, ins Parlament zu stürmen und sich dort stundenlan­g zu verschanze­n, hat im Land für Aufruhr gesorgt.

Wer für die Anschläge in Teheran verantwort­lich ist, war unklar. Während Sprecher des geistliche­n Führers Ayatollah Ali Chamenei und von Präsident Hassan Ruhani zur Besonnenhe­it aufriefen, bekannte sich der Islamische Staat über seinen Propaganda-Kanal Amaq zu den Anschlägen. Verifizier­en lässt sich das nicht. An- Vizepräsid­ent Eschak Dschahangi­ri schläge sind bislang ausgesproc­hen selten und betreffen vor allem die Provinz Sistan-Balutschis­tan an der Grenze zu Pakistan. Dort lebt eine große sunnitisch­e Minderheit; in den vergangene­n Jahren waren dort zwei miteinande­r verbündete Gruppen namens Jaisch ul Adl (Armee der Gerechtigk­eit) und Ansar al Furkan aktiv. Darüber hinaus ist in der Region eine Gruppe namens Dschundoll­ah tätig, die heute dem IS nahe steht und zwischen 2005 und 2010 Anschläge in Iran verübte. Nach 2010 trat die Gruppe durch Anschläge in Pakistan in Erscheinun­g; in Iran erklärte die Regierung Dschundoll­ah für »tot«, nachdem 2009 und 2010 nahezu die gesamte bekannte Führungsri­ege hingericht­et worden war. Zuletzt hatte Jaisch ul Adl, die sich zu Al Qaida bekennt, am 26. April 2017 einen Militärkon­voi angegriffe­n, und neun Soldaten getötet.

Ansar al Furkan indes war seit 2013 vor allem durch Predigten und politische Schriften aufgefalle­n; dennoch richtete sich das Augenmerk in Iran vor allem auf diese Gruppe; in Sistan gab es Massenfest­nahmen. Denn Geheimdien­stminister­ium und Revolution­sgarden hatten in vergangene­n Jahren Saudi-Arabien vorgeworfe­n, Ansar al Furkan und dessen Vorgängerg­ruppen Harakat Ansar Iran und Hizbul Furkan finanziell und logistisch zu unterstütz­en. Dies war in den Medien Anlass für eine Vielzahl von Theorien, während sich Sicherheit­sapparat und Politik zurück hielten: Man müsse erst einmal herausfind­en, was passiert sei, die Lage unter Kontrolle halten, sagte ein Sprecher des Geheimdien­stminister­iums.

Saudi-Arabien ist einer der Erzfeinde Irans; seit Jahren führt man einen kalten Krieg gegeneinan­der, während Katar recht enge Beziehunge­n zu Iran pflegt. »Dies ist eine unfassbar gefährlich­e Situation«, sagte Vizepräsid­ent Eschak Dschahangi­ri, der dem Reformerla­ger angehört, und verweist darauf, dass konservati­ve Politiker von Krieg sprachen, während sich die Angreifer noch im Parlament befanden, Berichte über Explosione­n in der U-Bahn die Runde machten: »Wir sollten jetzt erst einmal heraus finden, wer dahinter steckt, und dann erst über das richtige Vorgehen nachdenken.«

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