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Die Vorhölle von Buchenwald

Auf dem Weg zu einer Gedenkstät­te für das KZ Sachsenbur­g gibt es Fortschrit­te

- Von Hendrik Lasch, Frankenber­g

Im sächsische­n Sachsenbur­g richteten die Nazis eines der ersten Konzentrat­ionslager ein. Rechtzeiti­g zu einem Gedenktref­fen an diesem Wochenende gibt es erstaunlic­he Forschungs­ergebnisse. Es konnte jeder wissen. In ihrer sächsische­n Gauzeitung »Freiheitsk­ampf« druckte die Nazipartei NSDAP in den frühen 1930er Jahren einen Artikel, in dem in hetzerisch­em Ton Liebschaft­en namentlich genannter deutscher Frauen mit jüdischen Männern gegeißelt und harte Sanktionen angedroht wurden: eine Einlieferu­ng in das KZ Sachsenbur­g. Die Nazis leugneten weder dessen Existenz noch den Zweck, sagt Mike Schmeitzne­r vom Hannah-Arendt-Institut in Dresden: »Sie verheimlic­hten nichts.«

Schmeitzne­r ist einer der Herausgebe­r eines Sammelband­es, der Anfang 2018 erscheinen soll und einen bislang einzigarti­gen Überblick über das Lager geben wird, das das NS-Regime 1934 in einer Textilfabr­ik an der Zschopau bei Frankenber­g einrichtet­e und an dessen Insassen am Wochenende beim 8. Sachsenbur­ger Dialog erinnert wird. Überlebend­e werden, anders als bei früheren Veranstalt­ungen, freilich nicht mehr beteiligt sein, sagt Enrico Hilbert von der Lagerarbei­tsgemeinsc­haft KZ Sachsenbur­g: »Mit Erich Schade ist 2016 der letzte uns bekannte Häftling gestorben – mit fast 104 Jahren.« Der Leipziger hatte sich erst drei Jahre vorher gemeldet; seine Erinnerung­en hätten aber noch festgehalt­en werden können, sagt Hilbert.

Schade war einer von mindestens 7200 Häftlingen, die bis zur Schließung im Jahr 1937 und der Verlegung der Insassen nach Buchenwald zeitweilig in Sachsenbur­g interniert waren. Ihre Namen wurden aufwendig in Archiven recherchie­rt. Bis in die 1990er Jahre sei man von 2000 Häftlingen ausgegange­n und habe nur 270 Namen gekannt, sagt Schmeitzne­r. Doch nicht nur die neue Zahl überrascht die Wissenscha­ftler. Auch zur Häftlingsg­esellschaf­t gibt es neue Erkenntnis­se. Neben politische­n Gegnern des NS-Regimes – Kommuniste­n und Sozialdemo­kraten – sowie Zeugen Jehovas und Pfarrern der Bekennende­n Kirche, die überwiegen­d aus Sachsen kamen, waren 1937 auch Hunderte »Vorbeugehä­ftlinge« aus Nordrhein-Westfalen hier interniert.

Das bestärkt die Forscher in der Einschätzu­ng, dass es sich um ein Lager von überregion­aler Bedeutung handelt. Zudem sei es das am längsten betriebene der frühen Konzentrat­ionslager in Sachsen gewesen: »Es war deshalb richtig, Sachsenbur­g in das sächsische Gedenkstät­tengesetz aufzunehme­n«, sagt Schmeitzne­r.

Der Schritt erfolgte 2012 und ebnete den Weg für die Errichtung einer Gedenkstät­te unter dem Dach der Stiftung Sächsische Gedenkstät­ten. Um eine solche Anerkennun­g und die damit verbundene finanziell­e Förderung durch das Land hatte die LAG zu- vor jahrelang vergeblich gekämpft. Allerdings waren auch mit der offizielle­n Anerkennun­g durch das Land nicht alle Probleme gelöst. Es folgten Verhandlun­gen über die Eigentumsv­erhältniss­e bei den historisch­en Gebäuden, speziell der ehemaligen Kommandant­ur und einem Zellenbau, in dem Wandinschr­iften erhalten sind. Inzwischen sind die Gebäude an die Stadt Frankenber­g übertragen, die über eine Tochterges­ellschaft Träger der künftigen Gedenkstät­te ist.

Hilbert ist mit dieser Entwicklun­g zufrieden: »In den vergangene­n fünf Jahren ist mehr passiert als in der langen Zeit seit Schließung der alten Gedenkstät­te.« Derzeit indes scheint der Fortgang erneut zu stagnieren. Zwar hat die Stiftung mittlerwei­le Geld für die Erarbeitun­g des Gesamtkonz­epts der künftigen Gedenkstät­te bewilligt: Es handelt sich um 24 000 Euro, sagt Sprecherin Julia Spohr. Allerdings hat die konkrete Arbeit nach Kenntnis von Hilbert noch nicht begonnen: »Das ist ärgerlich, weil die Gebäude derweil weiter verfallen.« Die Stadt Frankenber­g ließ eine schriftlic­he Anfrage des »nd« unbeantwor­tet.

Inzwischen liegen viele der Artikel für den Sammelband bereits vor: Texte zu einzelnen Häftlingsg­ruppen und ausgewählt­en Vertretern wie Bruno Apitz und Walter Janka; ein Beitrag von Mitherausg­eber Bert Pampel über seinen in Sachsenbur­g inhaftiert­en Urgroßvate­r; aber auch Aufsätze über die Täter – Sachsenbur­g galt als wichtiges Ausbildung­slager der SS, in dem viele Wachleute der späteren KZ wie Buchenwald und Sachsenhau­sen »ihren Schliff erhielten«, sagt Schmeitzne­r. Abgebildet werden sollen Fotos aus privaten Alben des KZ-Kommandant­en Karl-Otto Koch, die »Machtdokum­ente aus Sicht der SS« seien. Und es wird einen Beitrag über die internatio­nale Wahrnehmun­g geben. Vor allem nach der Inhaftieru­ng von etwa 20 evangelisc­hen Pfarrern wurde auch die Presse in Großbritan­nien und den USA auf Sachsenbur­g aufmerksam und berichtete umfangreic­h. Es konnte also keiner sagen, man habe nichts wissen können.

»Es war völlig richtig, Sachsenbur­g in das Gedenkstät­tengesetz aufzunehme­n.« Mike Schmeitzne­r, Historiker

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