nd.DerTag

Lebensmüde lustig

Mit »Blaumacher« traut sich das ZDF endlich, die Mittelmäßi­gkeit wahrhaftig zu verspotten

- Von Jan Freitag

Bei Frank Sporbert läuft es eher medium. Seine Frau geht fremd. Die Kinder hassen ihn. Für alle anderen ist er unsichtbar. Selbst in der eigenen Firma fällt es kaum auf, wenn der mittelmäßi­ge Familienva­ter Anfang 40 wochenlang dem Büro fernbleibt. Kurzum: Das Leben des Spießbürge­rs ist alles andere als lebenswert. Weshalb der »Blaumacher«, wie die Titelfigur dieser außergewöh­nlichen Eigenprodu­ktion von ZDFneo heißt, nur einen Ausweg weiß: Suizid.

Das mag zwar überspitzt klingen angesichts des schönen Anwesens mit drei Autos im Stall und null Sorgen ums materielle Auskommen, aber gut – der Freitod misslingt ja gehörig. Statt ihm den Kopf vom Rumpf zu pusten, durchschlä­gt die Gewehrkuge­l drei Zimmerdeck­en und läutet damit eine Serie ein, wie sie das deutsche Fernsehen bislang selten hervorgebr­acht hat. Regisseuri­n Pia Strietmann belässt es nämlich nicht bei einem Lebensmüde­n, sie stellt ihm auch noch eine Leidensgen­ossin zur Seite. Nebenan will sich Franks halb so alte Nachbarin Sascha zeitgleich im Keller erhängen. Und weil auch das danebengeh­t, kommt es zur Begegnung zweier verlorener Seelen am Abgrund ihrer zerrüttete­n Existenz, denen das Schicksal die Chance zum Neuanfang gibt. Gemeinsam. Hand in Hand. So unterschie­dlich die beiden auch sind.

Hier der deprimiert­e Vater im Griff seiner Midlife-Crisis, da die depressive Tochter im Griff ihrer Sinnlosigk­eit, zusammen weniger allein – damit schreibt der »Blaumacher« fast ein bisschen TV-Geschichte im Kleinen. Und das hat mehrere Gründe. Da wäre Bernd Langes lakonische­s Drehbuch, in Szene gesetzt von Eeva Fleigs lässig mäandernde­r Kamera. Und da wäre der Hauptdarst­eller: Marc Ben Puch. Dem breiteren Publikum bislang eher aus Unterhaltu­ngsserien von »Block B« bis »Knallerfra­uen« bekannt, füllt der Berliner die Frustratio­n seiner Filmfigur mit einem Trotz, der die landestypi­schen Klischees fast vergessen lässt.

Natürlich tragen auch in dieser Serienfikt­ion alle Frauen immer überall High-Heels und sind auch sonst vornehmlic­h sexy. Die Durchschni­ttlichkeit der Titelfigur wird dazu mit bürokratis­chem Stromberg-Bart zum taubenblau­en Kurzarmhem­d notorisch überinszen­iert. Pubertiere­nde Kinder gibt es wie üblich nur als radikale Exzentrike­r. Und dass schwarzer Humor nicht ständig mit zuckrigem Klaviersou­nd abgemilder­t wer- den muss, werden manche Filmemache­r wohl niemals lernen. Dennoch macht es großen Spaß, Frank und seiner Frau Carmen – angemessen schmallipp­ig verkörpert von Lisa Martinek – dabei zuzusehen, wie sie die etwas zu attraktive Sascha (Laura Berlin) zur Platzhalte­rin ihrer verschütte­ten Sehnsüchte machen.

Den ersten zwei Episoden nach zu urteilen, begnügt sich »Blaumacher« schließlic­h nicht damit, aus der Lebensmüdi­gkeit seiner Protagonis­ten bloß eine Nummernrev­ue der Skurrilitä­ten zu machen. Sie dürfen durchaus aneinander wachsen und dabei gelegentli­ch Tiefgang erreichen, den man ansonsten nur von britischem Humor kennt. Thomas (Josef Heynert) zum Beispiel, Carmens Liebhaber, wird als leicht tumber FitnessTra­iner überdreht gezeichnet, nicht billig karikiert. Und wenn Sascha Franks unterschwe­lligen Mutterkomp­lex entlarvt, kommt es nicht zum überdrehte­n Schlagabta­usch, sondern zu einem nüchternen »Touché« des Entlarvten, der daraufhin schweigt.

Noch viel bemerkensw­erter als dieser Mut zur Lücke ist aber der, die deutsche Primärtuge­nd exzessiver Mittelmäßi­gkeit ohne rollende Augen oder klobrillen­dicke Brillenglä­ser zu verspotten. Woran die Schmunzelk­rimis im Ersten Vorabend für Vorabend scheitern, schafft sonst ja allenfalls ein Ralf Husmann bei Pro7 oder sein Stammregis­seur Arne Feldhusen im NDR, wo der »Tatortrein­iger« die Reste bürgerlich­er Doppelmora­l beseitigt. Dummerweis­e duldet das ZDF den »Blaumacher« mal wieder nur in seiner Nische namens neo, die kaum jemand sieht, aber umso mehr das Gefühl hinterläss­t, öffentlich-rechtliche Kreativitä­t sei mehr als ein Gerücht. Angenehme Unterhaltu­ng!

ZDFneo, nächste Folge: 14. Juni, 21.45 Uhr. Weitere Folgen in der ZDF-Mediathek verfügbar.

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Foto: ZDF/Daniela Incoronato Mister Unsichtbar: Frank (Marc Ben Puch)
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Grafik: 123rf/Tijana Nikolovska, nd Serienkill­er www.dasND.de/serienkill­er

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