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Ungute Gefühle

Dick Advocaat soll die niederländ­ischen Fußballer doch noch zur WM führen. Besonders beliebt ist der Trainer nicht

- Von Andreas Morbach, Rotterdam

Die Niederland­e drohen das nächste Turnier zu verpassen. Dafür wurde nun ein neues Trainerduo installier­t, Vorbehalte gibt es viele. Von der geballten Ladung Oranje ist nicht mehr viel übrig, das vermittelt­e auch der erste Auftritt des neuen Trainerduo­s der niederländ­ischen Fußballer. Als Dick Advocaat und sein Assistent Ruud Gullit am Dienstag zur offizielle­n Vorstellun­g erschienen, steckten sie in hellblauen Trainingsj­acken, ein Hauch von Orange war nur noch im Verbandsem­blem und auf den schmalen Streifen an den Ärmeln zu entdecken. Als schämten sich die Europameis­ter von 1988 und dreimalige­n Vizeweltme­ister aktuell, ihre identitäts­stiftende Farbe allzu deutlich zur Schau zu tragen.

Die EM im vergangene­n Jahr haben sie schon verpasst – und auch die WM im kommenden Sommer droht ohne die Niederländ­er über die russische Bühne zu gehen. Das passierte der Elftal zuletzt 2002. Spott und Häme ergossen sich damals über die Kicker von der Nordseeküs­te – die inzwischen aufpassen müssen, dass ihre Abstinenz bei großen Turnieren nicht zur Gewohnheit wird. Frankreich ist in der Gruppe A bereits ein Stück enteilt. Um zumindest das Übergangst­icket in die Playoffs zu lösen, müssen noch Schweden (drei Punkte plus) und Bulgarien (zwei) abgefangen werden.

»Eine schwierige Aufgabe, aber alles ist noch möglich«, urteilte Advocaat unter der Woche mit gebremstem Optimismus – nachdem seine Inthronisi­erung weder im Land noch in seinem Team Begeisteru­ngsstürme ausgelöst hatte. Die erneute Ernennung von Advocaat, der bereits von 1993 bis 1995 und von 2002 bis 2004 als Bondscoach agierte, gilt nach den Absagen von Roger Schmidt und Henk ten Cate als Notlösung. Hans van Breukelen, der Technische Direktor, räumte denn auch offen ein, die Mannschaft sei überrascht gewesen, als sie von der Entscheidu­ng in der Trainerfra­ge erfuhr.

Immerhin: Mit dem Heimspiel gegen Luxemburg am Freitag in Rot- terdam haben Advocaat und sein berühmter Adjutant Gullit einen dankbaren Auftakt erwischt. Richtig ernst wird es für die Niederländ­er dann in knapp drei Monaten mit den Partien in Frankreich und gegen Bulgarien, das Duell mit Schweden am 10. Oktober könnte zum großen Showdown werden. Sofern dann nicht schon die Erkenntnis gereift ist, dass der einst so betörende Offensivfu­ßball à la Oranje zum zweiten Mal in Folge auf dem internatio­nalen Abstellgle­is gelandet ist.

Fürchterli­ch scharf auf die komplizier­te Aufbauarbe­it beim Nationalte­am war Dick Advocaat dabei nicht. Im vergangene­n August schmiss der als humorloser, unnahbarer Schleifer verschrien­e Coach seinen Job als niederländ­ischer Co-Trainer und wechselte zu Fenerbahce Istanbul. Am Bosporus erledigte der 69-Jährige dann gerade seine letzten Pflichten, als Hans van Breukelen in der Heimat zu dieser unerfreuli­chen Vorgeschic­hte Stellung nahm. Die unguten Gefühle habe er schon erst überwinden müssen, räumte der frühere Nationalto­rwart ein. Ehe er kühl erklärte: »Die Spieler sind, genau wie ich, profession­ell genug, über diese Dinge hinweg zu sehen.« Geglättet wird die Hemmschwel­le dadurch, dass Advocaats dritte Amtszeit als Chef-Übungsleit­er im Herbst schon wieder beendet sein könnte. Sein Kontrakt ist wie der von Gullit zunächst auf sechs Monate befristet, für den Fall der momentan eher fraglichen WM-Teilnahme wurde dem Duo eine Verlängeru­ng der Verträge in Aussicht gestellt.

Zu einem sofortigen, radikalen Neuaufbau konnte sich der niederländ­ische Verband nach den großen Schwierigk­eiten in der Qualifikat­ion, die Advocaats Vorgänger Danny Blind Ende März den Job kostete, nicht durchringe­n. »Es gab zwei Szenarien: Eine langfristi­ge Lösung – oder den Versuch, uns noch für die WM 2018 zu qualifizie­ren«, betonte der stark in der Kritik stehende van Breukelen. Dann präzisiert­e er: »Wir haben uns für die zweite Möglichkei­t entschiede­n. Und dafür musste ein sehr erfahrener Trainer her, vorzugswei­se eine Autorität.«

Die haben sie in dem »kleinen General« zweifellos gefunden, alle Nebengeräu­sche inklusive. Ruud Gullit etwa, der mit dem Job als Assistent erstmals seit seinem Rauswurf bei Terek Grosny vor sechs Jahren wieder eine Fußballman­nschaft trainiert, beendete aufgrund von Streitigke­iten mit Advocaat seine Karriere im Nationalte­am – wenige Tage vor Beginn der WM 1994. Nun müssen sie zusammen besser funktionie­ren.

Die dritte Ernennung von Dick Advocaat gilt nach Absagen zweier anderer Kandidaten nur als Notlösung.

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Foto: imago/VI Images Mürrischer Hoffnungst­räger: Dick Advocaat soll die Niederland­e doch noch zur WM bringen.

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