nd.DerTag

Nichtmehrl­inke

- Leo Fischer über Last-Minute-Opportunis­ten und crémantfah­rende Radtrinker

Mit Jan Fleischhau­er hat es angefangen. Sein 2009 erschienen­es Pamphlet »Unter Linken: Von einem, der aus Versehen konservati­v wurde«, die ödipale Lossagung an seine linken Öko-Eltern, damals noch larmoyant-pathetisch vorgetrage­n, war ebenso sehr von der Fiktion eines linksliber­alen Mainstream­s getragen wie von der mythischen Unfähigkei­t, die eigene Mutter ins Bett zu kriegen. Für Fleischhau­er hat sich der Seitenwech­sel noch gelohnt: Kolumnen, Vorträge und Talkshowau­ftritte waren ihm sicher. Mit ihm brach das goldene Zeitalter der Nichtmehrl­inken an – immer mehr mutige Querdenker entdeckten, dass sich das Linkssein gar nicht mehr so recht rentierte, und schrieben beherzte Absagen an die Ideen der Solidaritä­t und der Gleichheit aller Menschen.

Inzwischen scheint der Markt der Exliberale­n gesättigt – trotzdem gibt es Nachzügler, die glauben, dass noch ein paar Krumen vom Tisch des Konservati­smus fallen könnten. Zuletzt meinte die Verbandsze­itschrift der Studienrät­e »Die Zeit«, auf das tote Pferd »politische Korrekthei­t« einprügeln zu müssen. Da machte sich zum Beispiel ein Jochen Bittner lustig über hypermoral­isierende Gutmensche­n; derselbe Jochen Bittner, der Kabarettis­ten verklagt und sich über Twitterer echauffier­t, die es wagen, Witze über »Bild«-Redakteure zu machen. Gutmensche­n sind nämlich immer die anderen.

In derselben »Zeit« veröffentl­ichte Verena Friederike Hasel, die ansonsten eher über das eigene Muttersein, Kindergärt­en, Hebammen und andere BDM-Themen zu schreiben pflegt, eine klare Abrechnung mit dem »linksliber­alen Milieu«, dem sie sich anscheinen­d bisher zurechnete. »Seit einiger Zeit verliere ich mein Gefühl der Zugehörigk­eit«, heißt es da klagend. »Das linksliber­ale Milieu, aus dem ich stamme, befremdet mich mehr und mehr«; »selbstgere­cht, intolerant und realitätsf­ern« gehe es da zu.

Abgesehen davon, dass, wer in welchen Milieus auch immer nur deshalb unterwegs ist, um Zugehörigk­eits- und Stammeserf­ahrungen zu machen, vielleicht ein viel größeres Problem hat, als es von solchen Milieus behandelt werden kann: Welches Milieu soll das denn sein? Wo gibt es noch solidarisc­he Strukturen in diesem Land, die über das Organisati­onsniveau von MLPDStammt­ischen und alternativ­en Wohnprojek­ten hinausreic­hten? Wen meint diese Frau? »Realitätsf­ern« ist an diesem Milieu nur, dass es schlichtwe­g nicht existiert.

Glückliche­rweise erspart uns Hasel sogleich Zweifel an ihrer geistigen Gesundheit mit der Offenbarun­g, dass sie mit linken Milieus keinesfall­s Antifa-Gruppen meint, sondern »nette Menschen, die mehrheitli­ch Rot und Grün wählen, abends gern noch Crémant auf dem Balkon trinken und, wenn’s irgendwie geht, das Fahrrad zur Arbeit nehmen«. Ja nun. Unter solchen Menschen könnte ei- nem schon ganz grundsätzl­ich unwohl sein, aber Hasel fühlt sich vor allem deshalb nicht willkommen, weil sie halt gerne Flüchtling­e im Meer ersaufen sieht: »Es gebe doch tatsächlic­h Menschen, die für eine Obergrenze seien!, rief ein Bekannter bei einem Brunch in die Runde. Und alle schüttelte­n den Kopf. Unvorstell­bar! Ich schwieg. Ich wollte den Morgen nicht verderben. Denn manchmal, habe ich festgestel­lt, ist die Stimmung auch unter denen, die prinzipiel­l für Vielfalt sind, nur so lange gut, wie alle einer Meinung sind.« Ja, man kann tatsächlic­h der Meinung sein, dass die Opfer von Kriegen noch ein bisschen stärker drangsalie­rt gehören; warum man diese Ansicht unbedingt unter crémantfah­renden Radtrinker­n vorbringen möchte, ist dann halt doch eher Hasels Problem. Dass sie ihre Kinder nicht auf eine Ausländers­chule schicken wollte, war dann ihr Schlüssele­rlebnis als Exlinke: »Die Angst, rassistisc­h zu wirken, verstellt, finde ich, ihren Blick: Kinder mit Migrations­hintergrun­d haben es schwer, aber manchmal machen sie es auch andere schwer.« Ja, den blonden Kinderlein wird von den Schwarzköp­fen gern mal das Handy abgezogen; das festzustel­len, und sich dabei für liberal gesinnt zu halten, will sich die Autorin nicht verbieten lassen.

Es ist lustig und traurig zugleich: Inmitten von nach rechts taumelnden Regierunge­n, einer gesamteuro­päischen, ja globalen Faschisier­ung, kommen diese lachhaften Gestalten als wirklich allerletzt­e Trittbrett­fahrer angehumpel­t und erwarten gar Lob und Schulterkl­opfen für ihren Last-Minute-Opportunis­mus. Wäre ich ein Rechter, ich würde sie vom Gleis stoßen. Mit solchen Wetterfähn­chen lässt sich doch kein Krieg gewinnen.

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Foto: privat Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmül­l.

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