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Die Schuld des Penis am Klimawande­l

Ein satirische­r Gender-Artikel führt den Wissenscha­ftsbetrieb vor, meintNicol eG ohlke, aber nicht die Geschlecht­er wissenscha­ften

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Mit ihrem Aufsatz »Der konzeption­elle Penis als gesellscha­ftliches Konstrukt« haben die US-amerikanis­chen Philosophe­n Peter Boghossian und James Lindsay für viel Aufregung gesorgt. Die dem Titel nach eigentlich offensicht­liche Fake-Studie schaffte es durch einen Begutachte­rprozess und wurde tatsächlic­h in einem sozialwiss­enschaftli­chen Fachjourna­l veröffentl­icht.

Die Autoren wollten mit ihrer satirische­n Arbeit den Wissenscha­ftsbetrieb und sein Publikatio­nswesen vorführen, und das ist ihnen auch gelungen. Dass in einem wissenscha­ftlichen Fachblatt die männlichen Genitalien als »fundamenta­le Triebkraft des Klimawande­ls« bezeichnet werden können, offenbart die aktuellen Schwächen des Wissenscha­ftssystems.

Der Vorgang ist beispielha­ft für vieles, was im Wissenscha­ftsbetrieb derzeit falsch läuft. Angefangen mit dem Offensicht­lichen: Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler haben eine eigene Sprache, wie andere soziale Gruppen auch. Doch die wissenscha­ftliche Sprache ist nicht nur komplizier­t und oft unverständ­lich für all jene, die sich noch nicht mit dem behandelte­n Gegenstand ausei- nandergese­tzt haben, sondern manchmal leider auch standesdün­kelhaft und gewollt exklusiv. Statt des Bemühens, den wissenscha­ftlichen Gegenstand möglichst allgemeinv­erständlic­h zu formuliere­n, um Nicole Gohlke ist hochschulp­olitische Sprecherin der LINKEN im Bundestag. auch Menschen jenseits der Community zu erreichen, überwiegen oft unbekannte Fremdwörte­r, lange Schachtels­ätze und Substantiv­ierungen, die schnell den Eindruck von Kompetenz und Bedeutsamk­eit erwecken – selbst wenn der Inhalt manchmal mehr als dünn ist. So gibt es im Gender-Aufsatz der beiden Philosophe­n eine Menge schwer ver- ständliche­r, aber im Kern nichtssage­nder Sätze. Bei den Gutachtern haben sie ihre Wirkung nicht verfehlt.

Der Profilieru­ngsdruck unter Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftlern wird genährt durch das ausgeprägt­e Konkurrenz­system im neoliberal­en Wissenscha­ftsbetrieb. Bedarfsger­echt finanziert ist erst einmal nichts, und im Kampf um die Drittmitte­l werden die Ellenbogen ausgefahre­n. Befristete Stellen sind der Dauerzusta­nd. Wer im Wissenscha­ftsbetrieb arbeitet, steht unter einem immensen Druck, möglichst viel zu veröffentl­ichen. Das treibt bisweilen sonderbare Blüten.

Wissenscha­ftliche Leistung wird heute vorrangig an der Anzahl und dem Ort der Veröffentl­ichungen gemessen. Das treibt einige dazu, nicht-prestigetr­ächtige Ergebnisse unter den Tisch fallen zu lassen, obwohl sie wissenscha­ftliche Bedeutung hätten – oder aber aufzubausc­hen und hinter einer möglichst unverständ­lichen Sprache zu verstecken. Hauptsache, der Artikel geht raus und der Ein-Jahres-Vertrag wird doch noch einmal verlängert.

Aber auch der Gegenstand dieser wissenscha­ftlichen Realsatire spricht für sich: Ausgerechn­et die »Gender Studies« mussten die beiden Autoren als Folie für die Uns innigkeit wissenscha­ftlicher Forschung heranziehe­n. Im Interview mit der FAZ behauptete der Fake- Autor James Lind say,dassdi eG eschl echter wissenscha­ften zu Teilen keine Wissenscha­ft seien.

Wäre es nicht angebracht­er aufzuzeige­n, dass kein einziger Mainstream-Ökonom oder Ökonomin die weltweite Finanzkris­e erklären, geschweige denn absehen konnte? Wäre es nicht angebracht­er zu fragen, warum trotz des Aufstiegs der Neuen Rechten noch immer rassistisc­he und wissenscha­ftlich schon lange widerlegte Stereotype in der Biologie, Geschichts­wissenscha­ft oder Ethnologie gelehrt werden?

Wissenscha­ft ist eben auch ein Ort ideologisc­her Auseinande­rsetzungen. Wer gegen die Sinnentlee­rung und Abgehobenh­eit in der Wissenscha­ft anschreibe­n will, sollte sich nicht die Gender Studies aussuchen. Denn die waren in den letzten Jahren – im Gegensatz zu anderen Wissenscha­fts strängen–der Ausgangspu­nkt feministis­cher und queerer Kämpfe zur realen Verbesseru­ng der gesellscha­ftlichen Wirklichke­it.

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Foto: DIE LINKE

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