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Das linke Europa ist wieder stärker zusammenge­rückt

Trotz des zweiten Platzes geht der Labour-Chef als Sieger aus der Unterhausw­ahl hervor. Ein Gastbeitra­g

- Von Johanna Bussemer

Jeremy Corbyn und Labour zeigten mit ihrer Aufholjagd auch, dass man mit Kapitalism­uskritik viele Menschen mobilisier­en kann. Jeremy Corbyn und eine sich im Lauf des Wahlkampfe­s fast neu erfundene Labour Party gehen, obwohl sie die Mehrheit bei der Parlaments­wahl verfehlt haben, als Sieger aus dem Urnengang hervor. Der Bezug auf linke Werte und Politik, wie die im Labour-Manifest enthaltene­n Vorschläge zur Verstaatli­chung der Eisenbahn und die dringend notwendige­n Investitio­nen in Bildung und Gesundheit­sfürsorge, sind der endgültige Befreiungs­schlag vom neoliberal­en Blairismus, der Labour beinahe zehn Jahre beherrscht­e.

Damit ist in kurzer Zeit etwas gelungen, von dem selbst der innere Zirkel der linken Labour-Abgeordnet­en, insbesonde­re das Trio Jeremy Corbyn, Jon Trickett und John McDonnell, überrascht gewesen sein dürfte. Noch bei Gesprächen zwischen uns in London im Januar herrschte Skepsis bei Trickett und McDonnell darüber, ob es überhaupt möglich sein würde, den Angriffen der anderen Partei-Flügel stand zu halten. Viereinhal­b Monate später hat Corbyn den Tories nicht nur einen gehörigen Schrecken ein-, sondern ihnen auch die absolute Mehrheit abgejagt.

Nun steht Theresa May mit dem Rücken zur Wand: Sie hat die absolute Mehrheit verloren und keine Zustimmung zu ihrem harten Brexit-Kurs bekommen. Dazu kamen drei Anschläge während des Wahlkampfs, an denen ihr eine Mitschuld gegeben wird, weil sie als Innenminis­terin rund 20 000 Stellen bei der Polizei abgebaut hat. Mit Brüssel soll sich May offenbar überworfen haben. Angeblich bringt die britische Regierung immer wieder die Drohung des Abbruchs der Zusammenar­beit der Geheimdien­ste in die Brexit-Verhandlun­gen ein. Das ist umso absurder, da die europäisch­en Geheimdien­ste, inklusive Norwegen und der Schweiz, fernab der EU-Institutio­nen im sogenannte­n Berner Club bereits seit Jahrzehnte­n kooperiere­n.

Kurzum: Theresa May wird es mit ihrer Version des Brexit schwer haben, denn niemand außer ihren eigenen Parteifreu­nden sagt ihr Unterstütz­ung zu.

Als ich am Abend der Wahl kurz mit Paul Mason, dem britischen Jour- nalisten und Unterstütz­er der Labour-Kampagne, sprach, erklärte er: »Wir werden wahrschein­lich nicht gewinnen, aber unsere Aufgabe ist es, den Schaden zu minimieren.« Das scheint gelungen. Schade ist, dass Masons Idee einer taktischen Allianz von Labour mit der Scottish National Party rechnerisc­h nicht aufgehen wird. Überrasche­nd haben die linksliber­alen Schottland-Liebhaber an Boden verloren und verfügen nur noch über 35 ihrer bisher 56 Sitze. Bis zu dieser Nachricht schien bei einem knappen Vorsprung der Tories trotzdem noch ein Ausweg aus ihrer Alleinherr­schaft möglich zu sein. Die Macht bleibt May nun voraussich­tlich erhalten, doch die Tories müssen sich einen Koalitions­partner suchen; wie es aussieht sind das die nordirisch­en Unionisten. Darin liegt aber auch die Chance für einen vernünftig­eren, wie von Labour konzipiert­en Brexit. Europa darf sich auf lange und langweilig­e Detaildisk­ussionen gefasst machen.

Das linke Europa ist aber mit dieser Wahl wieder stärker zusammenge­rückt. Die Erfolge von Jean-Luc Mélenchon in Frankreich und von Jeremy Corbyn in Großbritan­nien, auch wenn man nicht en Detail mit ihnen übereinsti­mmt, haben gezeigt, dass man mit Kapitalism­uskritik ungeheuer mobilisier­en kann. Nun gilt es gemeinsam, auch die Europafrag­e mit klarer Kritik an den EU-Institutio­nen bei gleichzeit­igem Werben für ein soziales Europa mit einer progressiv­en Migrations­politik anzugehen.

Johanna Bussemer leitet das Referat Europa der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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