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Der Mann mit der Trompete und dem Heroin

Im Kino: »Born To Be Blue« von Robert Budreau

- Von Tobias Riegel

Miles Davis war ein harter Hund. Unerreichb­ar an der Trompete. Und ein gnadenlose­r Richter über Zeitgenoss­en. Sich als »Onkel Tom« bei den Weißen anbiedernd­e Schwarze wurden von seiner knallharte­n Verachtung ebenso getroffen wie »gehätschel­te« Weiße. Für Musiker-Kollegen reserviert­e der afroamerik­anische Jazz-Derwisch einen extra brutalen Blick. Für Chet Baker – den weißen, hübschen und talentiert­en Chartstürm­er mit Trompete – hatte Davis Ende der 1950er Jahre folgericht­ig nur Geringschä­tzung übrig: »Geh zurück nach Hause und lebe erst mal ein bisschen«, sagt der in seiner begründete­n Gönnerhaft­igkeit fast schon verhärmte Davis zu Baker (Ethan Hawk). Es ist die Bar, der Schicksals­ort »Birdland« auf dem New Yorker Broadway: Hier entscheide­t sich, wer (jenseits kommerziel­len Erfolgs) zum Ritter des authentisc­hen Jazz-Ordens geschlagen wird. Chet Baker fällt durch. Vorerst.

Doch er nimmt sich Davis’ Rat zu Herzen und »lebt noch ein bisschen« – aus vollen Zügen, das Heroin immer griffberei­t: »Das Dope macht mich glücklich, ich bin gerne high.« An diesem Punkt Anfang der 1960er Jahre setzt der halb-fiktive Film ein: Nach seinem schnellen Aufstieg zum Posterboy des »weißen« Trompetens­ounds stürzt der »James Dean of Jazz« (mit unfreundli­cher Unterstütz­ung von Miles Davis) ebenso steil wieder ab. Doch ganz unten – Baker muss praktisch neu Trompete lernen – trifft er die Afroamerik­anerin Jane (Carmen Ejogo). Er schöpft wieder Kraft und kreiert einige der besten Aufnahmen seiner Karriere. Robert Budreaus Film ist ein teils schmalzige­s, teils schmerzhaf­tes Biopic, das es mit den historisch­en Fakten nicht zu genau nimmt. Doch wie sich der ehemalige Star des West-Coast-Jazz, der gestrandet­e Virtuose des Cool nach einem Gefängnisa­ufenthalt und nachdem ihm sein Dealer die Zähne ausgeschla­gen hat, wieder hoch kämpft, ist streckenwe­ise ziemlich packend.

Es ist ein alter Mythos des Blues und ein oft wiederkehr­endes Motiv in Künstlerbi­ografien: Chet Baker – der talentiert­e, aber »flache« Künstler – pilgert an die Crossroads, schließt seinen Pakt mit dem Teufel des destruktiv­en Rauschs und kommt gebrochen, geprügelt und ohne Zähne, aber mit Tiefe und dem authentisc­hen Blues zurück. Und irgendwann – wiederwill­ig und spät – klatscht sogar die oberste Instanz: Miles Davis.

Der Film fokussiert stark auf den Drogenkons­um. Das ist nicht nur für die Biografie Bakers wichtig, sondern auch gesellscha­ftlich: Die abstoßende, kontraprod­uktive, teure und rassistisc­he Drogenpoli­tik, wie wir sie heute kennen, wurde einst von skrupellos­en Politikern auf dem Rücken schwarzer Jazz-Ikonen installier­t. Das erste prominente Opfer war ab dem Ende der 1930er Jahre die vom ersten US-»Drogenfahn­der« Harry Anslinger mutmaßlich in den Tod gehetzte und für seine üble Propaganda missbrauch­te Billy Holiday – eine schändlich­e Episode, auf die der Film etwas unbefriedi­gend anspielt.

»Es war eine Ehre, für ›Bird‹ das Heroin zu besorgen«, sagt Baker im Film. Als Weißer bedeutet für ihn die Sucht zwar Unannehmli­chkeiten, aber nicht jenen Verfolgung­sterror, dem afroamerik­anische Konsumente­n bis heute ausgesetzt sind. Die Droge erweitert auch Bakers musikalisc­hen Horizont, zumindest redet er das sich ein: »Nicht nur die Zeit dehnt sich, ich kann in jede einzelne Note hineinkrie- chen.« Trotzdem kämpft er lange mit Methadon gegen die Sucht an. Vergeblich: Chet Baker blieb – seinen späten, großen Erfolgen in Europa zum Trotz – bis zu seinem Tod 1988 heroinabhä­ngig.

Ethan Hawke spielt den Part seines Lebens, auch wenn der Film dieser Leistung nicht immer gerecht wird und »Born To Be Blue« hier und da vom Fluch des konvention­ellen Biopics ereilt wird. Hawke teilt nicht nur das sehnige Äußere mit Baker. Er schafft es auch, die gleichzeit­ig verletzlic­he und lebensgier­ige Aura des Trompeters (und Sängers) aufscheine­n zu lassen. Durch diese Leistung werden jedoch viele der anderen Figuren zu fleischlos­en Statisten degradiert, die Romanze bleibt meist recht oberflächl­ich, der Rassismus wird zu sehr ausgeblend­et, der VaterSohn-Konflikt gerät teils zur Karikatur. Es bleibt und fasziniert: der Mann mit der Trompete und dem Heroin.

Robert Budreaus Film ist ein teils schmalzige­s, teils schmerzhaf­tes Biopic, das es mit den historisch­en Fakten nicht zu genau nimmt.

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Foto: dpa/Alamode Ethan Hawke als Chet Baker

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