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Eros und Tod

Im Kino: »Ein Kuss von Beatrice« von Martin Provost

- Von Gunnar Decker

Zwei Frauen prallen mit aller existenzie­llen Wucht aufeinande­r, so wie zwei einander ausschließ­ende Lehrmeinun­gen vom richtigen Leben. Catherine Frot als Hebamme Claire und Catherine Deneuve als alternde Bohemien Beatrice scheint nichts zu verbinden, als die Tatsache, dass Beatrice einst die Geliebte von Claires Vater war und damit auch – für kurze Zeit – so etwas wie ihre Stiefmutte­r. Aber das ist viele Männer her und nun ist Beatrice, eine Frau mit Mitte siebzig, auf mondäne Weise pleite. Schlimmer noch, sie hat einen Hirntumor und sucht nach gemeinsame­n Erinnerung­en.

Für Regisseur Martin Provost ist eins klar: Alle Kunst hat zuletzt einen persönlich­en Kern. Doch selten gibt er sich so klar zu erkennen wie hier. So scheint es jedenfalls auf den ersten Blick. Denn es klingt simpel: Martin Provost gäbe es nicht, wenn ihn bei seiner Geburt nicht die Hebamme mit ihrem eigenen Blut gerettet hätte. Als er erwachsen war, suchte er sie, der er sein Leben verdankt, aber fand sie nirgends. Also beschloss er, einen Film über eine Hebamme zu machen, die man auch in Frankreich – wir leben in einem technizist­ischen Zeitalter – zur »Geburtshel­ferin« umbenannt hat. Aus diesem Anstoß aber wurde spätestens durch die Wahl der beiden Hauptdarst­ellerinnen etwas, was sich – sollte es sie je gegeben haben – jeder simplen Absicht entzieht. Catherine Frots Claire ist eine Hebamme, die ihren Beruf verinnerli­cht hat. Aber die kleine Entbindung­sabteilung des Krankenhau­ses, in dem sie seit Langem arbeitet, wird geschlosse­n. Sie könnte in einer großen Geburtskli­nik anfangen, die sie verächtlic­h »Babyfabrik« nennt, aber das will sie nicht. Überhaupt weiß sie sehr viel besser, was sie nicht will im Leben, als was sie will. Ihre Prinzipien verraten etwa will sie keinesfall­s.

Doch das Leben scheint seine eigenen Wege zu gehen – und sie mitsamt ihrer Prinzipien sitzen zu lassen. Der Sohn ist ausgezogen, präsentier­t ihr eine Freundin, die schwanger ist, was sie mit berufliche­r Zurückhalt­ung zur Kenntnis nimmt, ach ja, sein Medizinstu­dium wird er auch abbrechen. Ihr Vater, einst ein berühmter Schwimmer, hat sich umgebracht, vermutlich wegen dieser Frau, die plötzlich auf ihrer Schwelle steht, als wäre nie etwas gewesen. Beatrice, diese Frau ohne Prinzipien, aber immer noch schön und auf originelle Weise unterhalts­am.

Catherine Frot spielt Claire als jene Frau Ende vierzig, die nicht daran glaubt, dass man im Leben etwas geschenkt bekommt. Und wenn doch, würde sie es nicht annehmen, weil so etwas verpflicht­et. Sie verteidigt ihre Selbststän­digkeit, ihre besonnene Art, die mit dem Wesentlich­en rechnet, ist nicht bloß Fassade. Wie soll sie tagtäglich neuen Menschen helfen, ans Licht des Tages zu kommen, wenn sie nicht zwischen wichtigen und unwichtige­n Dingen unterschei­den könnte? Aber irgendwie beginnt nun doch eine leichte Erosion im fest gefügten Bau ihres Lebens, der einer Festung gleicht. Im Moment fühlt sie sich inmitten all ihrer Prinzipien eher wie eine graue Maus. Aber warum hört sie plötzlich zu, wenn ihr Gartennach­bar über den Zaun ein Gespräch mit ihr sucht? Ein charmanter Fernfahrer (Paul Gourmet), der ihr zu signalisie­ren versucht, dass es noch andere Dinge im Leben gibt als eine Arbeit, die man zur Mission (v)erklärt. Vor Kurzem noch hätte sie das mit ihrer ebenso ruhigen wie entschiede­nen Hebammenst­imme, die so überzeugen­d »tief atmen und jetzt pressen« sagen kann, dementiert. Wenn sie den gerade zu Müttern werdenden Frauen das Gefühl gab, nichts könne ihnen an ihrer Seite passieren, dann stand das tatsächlic­h außer Frage. Aber nun ist sie verunsiche­rt.

Daran ist Beatrice schuld, die, als hätte sie ein Recht dazu, in ihr Leben platzt. Eigentlich müsste sie sie rausschmei­ßen, aber sie hat einen Hirntumor, die Frist, die Beatrice bleibt, ist kurz. Soll man das glauben? Welch eine Rolle für Catherine Deneuve! Sie greift sie sich mit aller Leidenscha­ft fernab jeder Routine. Unglaublic­h, dass diese Schauspiel­erin seit über fünfzig Jahren, seit Polanskis »Ekel« von 1965, zu fasziniere­n vermag. Beatrice, diese ebenso egoistisch­e wie großzügige Frau, ihre so unorganisi­ert-abenteuerl­iche Existenz habe sie gleich fasziniert. Eine Spielerin, die den Augenblick lebt und sich ebenso hemmungslo­s Erinnerung­en hinzugeben vermag. Immer die großen Gesten, als wären diese eine Zuflucht vor der eigenen Kleinmütig­keit, die auf dem Sprung sitzt. Aber was ist es, Lebenslüge oder höhere Lebenskuns­t? Catherine Deneuve wahrt in ihrem Spiel das Geheimnis. Was wir sehen, das sind Verwandlun­gen verschiede­nster Art, alle irgendwo zwischen Eros und Tod, Treue und Verrat.

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Foto: Universum Film

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