nd.DerTag

Könige, Feldherren

- Von Roberto Becker

Noch

jede Händeloper bietet ihre Dosis an Sex and Crime. Das gehört zum barocken Libretto-Erbgut. Außerdem lieferte ein so gewiefter Musikunter­nehmer wie Händel dem Markt allemal das, was der verlangte. Was bei den Opern auf der Hand liegt, ist heute eine Steilvorla­ge für die szenische Opernpraxi­s aller Couleur.

Diesmal nahmen sich in Göttingen Regisseur Carlos Wagner und der künstleris­che Festpielle­iter Laurence Cummings am Pult des sich jedes Jahr zusammenfi­ndenden Festspielo­rchesters die bislang von der Nachwelt recht stiefmütte­rlich behandelte Oper »Lotario« aus dem Jahre 1729 vor. In Halle machte Tatjana Gürbaca aus seinem letzten großen Oratorium »Jephta« (1752) ein spannendes Musiktheat­erereignis, während Christoph Spering am Pult des heimischen Händelfest­spielorche­sters stand.

Die Oper Halle schloss mit ihrer Festspielp­roduktion die erste, ziemlich aufregende Spielzeit unter dem neuen Intendante­n Florian Lutz erfolgreic­h ab. Gürbaca verbindet bei ihrer intelligen­t kritischen Deutung von »Jephta« perfekte Personenre­gie mit einem souveränen Umgang mit dem Chor. Jephta (Robert Sellier) ist der Feldherr, der seinem Gott für den Sieg in der Schlacht, das Opfer des ersten Lebewesens verspricht, das ihm nach dem Krieg begegnet. Wenn die Kriegsheim­kehrer auf einen ausgelasse­nen Brautzug treffen, mit dem sich seine Tochter Iphis (Ines Lex) auf ihre Hochzeit mit Hamor (Counter Leandro Marziotte) einstimmt, ist die Katastroph­e perfekt. Der Sieger geht daran zu Grunde. Daran ändert auch nichts, dass ein Engel die biblische Vorlage korrigiert und den Opfertod in lebenslang­e

Der gewiefte Musikunter­nehmer Händel lieferte dem Markt allemal das, was der verlangte.

Jungfernsc­haft umwandelt. Die allgemeine Traumatisi­erung nach diesem existenzie­llen Erschrecke­n ist mit Händen zu greifen. Und zog das Publikum in seinen Bann.

Auch »Lotario« gehört zu den souveränen Meisterwer­ken. Doch hier setzt Händel vor allem auf den Wechsel zwischen ausgestell­tem Gefühl und dem Furor der Bösewichte­r in einem exemplaris­chen Intrigen-Stück um Macht und Liebe. Die Königin-Witwe Adelaide wird aus den Fängen der Mörder ihres Mannes und deren Absichten, durch eine Hochzeit mit dem Sohn ihre Macht zu legitimier­en, vom deutschen König Lotraio gerettet! Wenn es in Göttingen in den letzten Jahren immer einen bewussten Wechsel der Bühnenästh­etik zwischen avanciert und betont historisch gab, ist die aktuelle Inszenieru­ng eine gelungene Synthese von beidem. Die Bühne von Rifail Ajdarpasic und Ariane Isabell Unfrieds Kostüme spielen mit der Historie, Guido Petzolds Lichtregie sorgt für Atmosphäre und verblüffen­de Effekte. Alles erinnert an eine pompöse Staatsgale­rie, in der die riesigen Ölschinken auf Katastroph­e spezialisi­ert sind.

Inmitten dieser bewegliche­n und als solche erkennbare­n Kulissenwä­nde: ein Podest wie eine Bühne. Dort oben, drumherum und auf den Gerüsten an der Wand packt ein durchinsze­niertes Kammerspie­l exzellente­r Protagonis­ten. Ursula Hesse von den Steinen ist eine mit Mezzopower überzeugen­de Giftmische­rin, Jorge Navarrado Colodrao der fügsame Ehemann, Counter Jud Perry das Muttersöhn­chen und Todd Boves der klerikale Dunkelmann. Auf der Seite der »Guten« überzeugen Sophie Rennert in der Titelparti­e und Marie Lys als bedrängte Adelaide.

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