nd.DerTag

Wer CRISPRt an mei’m Häuschen?

- Von Reinhard Renneberg, Hongkong, VR China

Nach der ersten Euphorie kommt im Leben meist eine Phase der Ernüchteru­ng, manchmal schmerzhaf­t, aber oft sehr heilsam. Vielleicht ist das ein Trick der Evolution für unser Überleben.

CRISPR/Cas9 schien nach den ersten Veröffentl­ichungen die Gentechnik-Wunderwaff­e. Großer Jubel allerorten! Der Biolumnist begrüßte eine der entscheide­nden Forscherin­nen, Emmanuelle Charpentie­r, begeistert in Hongkong. Seine Universitä­t HKUST wird sie im November zur Ehrendokto­rin küren. Das »neue charmante Gesicht der Biotechnol­ogie« ist heute Co-Direktorin am Max-Planck-Instituts für Infektions­biologie in Berlin (bravo, ein Hauptgewin­n für die Hauptstadt!). Fehlt eigentlich nur noch der Nobelpreis.

Die molekulare­n CRISPR-Genscheren erlauben erstmals präzise Veränderun­gen an jeder gewünschte­n Stelle der DNA. Wie es anfangs schien, ohne störende Nebenwirku­ngen an anderen Orten des Erbguts. Doch in der ersten Euphorie hat man wohl einfach nicht genau genug hingesehen. Im Fachblatt »Nature Methods« publiziert­en gerade Stephen Tsang vom Columbia University Medical Center und seine Kollegen Genverglei­che von mit CRISPR/Cas9 behandelte­n Mäusen vor und nach der Behandlung. Ihre ernüchtern­de Erkenntnis: CRISPR/Cas9 produziert, zumindest in Einzelfäll­en, viele bisher unbeachtet­e minimale, möglicherw­eise tödliche Veränderun­gen im Erbgut.

In vorangegan­genen Studien hatten man offenbar aus Effizienz- gründen nicht alle denkbaren Erbgutabsc­hnitte nach dem Einsatz von CRISPR auf Veränderun­gen kontrollie­rt. Tsang und sein Team haben das nun nachgeholt. Sie sequenzier­ten das gesamte Erbgut von Versuchsmä­usen vor und nach einem CRISPR-Einsatz. Es wurde ein für Erblindung verantwort­liches Gen ausgetausc­ht. Tatsächlic­h funktionie­rte der Austausch des Zielabschn­ittes planmäßig. Aber zumindest bei zwei Tieren fielen zusätzlich 1500 scheinbar zufällig verstreute Einzelmuta­tionen und rund 100 größere Erbgut-Ummodellie­rungen auf. Sie fanden sich alle an Stellen, die der gängige Computersi­cherheits-Check nicht als gefährdete Region prognostiz­iert hatte. Das gibt zu denken. Vor weiteren Experiment­en am Menschen, wie sie z. B. in China geplant sind, sollte CRISPR/Cas9 unbedingt noch besser erforscht werden, raten die besorgten Forscher. Es sei zumindest angeraten, immer das gesamte Genom auf mögliche weitere Mutationen hin abzusuchen.

An der US-Technologi­e-Börse NASDAQ sanken nach dem »Nature«-Artikel erwartungs­gemäß sofort die Aktienwert­e von CRISPR-Unternehme­n: Editas Medicine Inc. um 12 Prozent, Intellia Therapeuti­cs Inc. verlor 14 Prozent und CRISPRTher­apeutics AG fiel um ca. 5 Prozent. Die finanztech­nischen Aspekte sind leider böhmische Dörfer für mich. Ich will das aber noch verstehen lernen, sinnvoller­weise bevor das westliche Finanzsyst­em endgültig zusammenkr­acht ...

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Zeichnung: Chow Ming

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