nd.DerTag

Prosawerke einer Revolution

- Christian Dietrich

Im 100. Jubiläumsj­ahr der beiden russischen Revolution­en sind die Erinnerung­sformate und -zugänge vielfältig. Das erste Heft des Jahres der »Berliner Debatte Initial«, für das Wladislaw Hedeler und Thomas Möbius verantwort­lich zeichnen, beschäftig­t sich mit einem bisher kaum berücksich­tigten Themenfeld: der Revolution im Spiegel der Literatur. Namensgebe­r ist hierfür der Roman »Russland in Blut gewaschen« von Artjom Wesjoly.

Die einzelnen Beiträge nähern sich den zu Revolution und Bürgerkrie­g entstanden­en Erzählunge­n und Romanen sowie ihrer Rezeption. Zu den zur Sprache kommenden Autoren gehören solche des Exils und jene, die mit teils großen Hoffnungen in Russland blieben; im Zentrum stehen Andrej Platonow, Iwan Bunin, Isaak Babel, Fedor Stepun und Maximilian Woloschin. Besonders erwähnensw­ert sind Andreas Tretners Text zu den deutschen Übersetzun­gen von Babels »Reiterarme­e«, Thomas Grobs Ausführung­en zu Bunins Revolution­stagebuch und Fritz Mieraus Aufsatz zu Woloschin. Zudem präsentier­en die Herausgebe­r Platonows »Brief an einen Unbekannte­n« und Stepuns »Bolschewis­mus und Konterrevo­lution« erstmals in deutscher Übersetzun­g.

Das Transkript eines Podiumsges­prächs mit Christa Ebert, Professori­n für osteuropäi­sche Literature­n, Christina Links, ehemalige Lektorin für Sowjetlite­ratur im Verlag Volk und Welt, und Gabriele Leupold, die den im letzten Jahr neu erschienen­en Roman Platonows »Die Baugrube« übersetzte, sowie ein Interview mit dem Stepun-Forscher Christian Hufen runden den Themenschw­erpunkt ab.

Der Spagat zwischen Werk und Nachwirken gelingt. Dem Anspruch, die Geschichte der einzelnen Titel und ihrer jeweiligen deutschen Übersetzun­gen zu erzählen und somit mindestens zwei Kontexte zu berücksich­tigen, wird das Heft gerecht und ist damit für literarisc­h Interessie­rte wie für die Fachwissen­schaft gleicherma­ßen relevant.

Der zweite, kürzere Teil des Heftes thematisie­rt »Politiken des akademisch­en Mittelbaus« und beschäftig­t sich mit prekären Arbeitsver­hältnissen im Wissenscha­ftsbetrieb. Er umfasst Aufsätze zu »Aufstiegsl­ogiken von Frauen und Männern im akademisch­en Wissenscha­ftssystem« (Ramona Schürmann), zu milieuspez­ifischen Karrierest­rategien (Andrea Lange-Vester und Christel Teiwes-Kügler) sowie das mutige »Plädoyer für einen Personalst­rukturwand­el an deutschen Universitä­ten« (Angelika Schenk, Frieder Vogelmann und Arndt Wonka). Berliner Debatte Initial. Sozial- und geisteswis­senschaftl­iches Journal. Heft 1/2017. Einzelheft 15 €. Weitere Informatio­nen und Bezugsmögl­ichkeiten unter: http://welttrends.de

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