nd.DerTag

Kopfrechne­n mit Klack

Mölkky – hierzuland­e neue Spielart, in Finnland längst Lebensart.

- Von René Gralla gra

Finnen gelten als sympathisc­h, aber auch eigenwilli­g. Sie tragen skurrile Weltmeiste­rschaften im Handyweitw­urf oder Frauentrag­en aus und tanzen leidenscha­ftlich Tango, falls sie nicht gerade in der Sauna hocken. Dazu passt, dass die Menschen zwischen Helsinki und Turku, Tampere und Oulu in der Freizeit häufig Rundhölzer gegen Rundhölzer schleudern. »Mölkky« heißt das Spiel, eine Art Kegeln mit Werfen statt mit Kullern.

Große Turniere locken regelmäßig die Aktiven und Fans sogar bis nach Lahti im Südosten des Landes. Dann drängen sich die Zuschauer zu Tausenden auf eigens gezimmerte­n Tribünen. Auch Horst Neuhoff ist bereits vor dieser Kulisse aufgelaufe­n. Der 58-Jährige aus Nürnberg vertrat dort schon zweimal die deutschen Farben, und »der Adrenalins­toß, den du kriegst, wenn du auf diesem Platz stehst, ist enorm«, erinnert er sich im nd-Gespräch.

Der hauptberuf­liche Vertriebsm­anager ist Aktivist der hiesigen Mölkky-Szene. Im Mai 2006 hatte er sich mit Freunden und Kollegen zum ersten außerfinni­schen Verein, dem »Nürnbergin Pölkky Veikot« (NPV) zusammenge­schlossen. Motto: Spiel, Sport, Spaß, Strategie, Spannung.

Eine selbstbewu­sste Ansage angesichts des schlichten Arrangemen­ts zu Beginn eines Matches. Tatsächlic­h aber ist Mölkky mehr als derbes Umhauen runder Pflöcke. Die Miniprügel tragen die Zahlen 1 bis 12, und daraus folgt der Clou der Sache: Die Spielteiln­ehmer müssen versuchen, durch geschickt platzierte Treffer per Wurfholz den Punktesald­o 50 zu erreichen, denn das sichert den sofortigen Sieg.

Dazu sind Konzentrat­ion und Treffsiche­rheit nötig, etwas Mumm

im Arm, taktisches Verständni­s, vor allem ein flinkes Oberstübch­en. Mölkky ist nämlich in gewisser Weise ein unterhalts­ames Kopfrechne­n mit Klack. Und es widerlegt recht eindrucksv­oll den Mythos von notorisch schrägen Finnen, den Kultstreif­en à la »Leben der Bohème« und »Leningrad Cowboys Go America« um die Welt transporti­erten.

»Ja, die Finnen darf man keinesfall­s unterschät­zen«, weiß Horst Neuhoff sicher. Viele Sommer hat er an finnischen Seen verbracht, und in einem dieser Ferienhäus­er entdeckte er irgendwann ein Mölkky-Set. Nach ersten Probeparti­en war der Entschluss gefasst: »Wenn wir das im Urlaub spielen können, warum nicht auch zu Hause in Franken?!«

Zurück in Nürnberg, nahm er Kontakt auf mit der örtlichen DeutschFin­nischen Gesellscha­ft – und es entstand der NVP-Club. Das Kürzel »N« steht für Nürnberg, »V« für »Veikot«, dt. Freunde; »P« für »Pölkky«, den unvermeidl­ichen Holzstab, der im Spiel geworfen wird. Ein Projekt, das Horst Neuhoff ausdrückli­ch auch als Beitrag zur finnischen Kulturarbe­it verstanden wissen möchte. Der faire Sportsgeis­t, der Mölkky-Wettkämpfe präge, habe nämlich Vorbildcha­rakter und sollte andere inspiriere­n: »Klasse Würfe des Gegners werden gefeiert, das macht die gute Stimmung aus im Spiel.«

Inzwischen gibt es in Deutschlan­d – abgesehen von mehr und mehr Gelegenhei­tsspielern – bereits gut 1000 Enthusiast­en, die sich dem Spiel als echtem Freizeitsp­ort verschrieb­en haben. Auch auf internatio­naler Ebene begeistern sich immer mehr Finnophile dafür, sogar in Japan haben sich Mölkky-Verbände konstituie­rt. Zu den offenen Deutschen Meistersch­aften alljährlic­h Mitte Juni in Erlangen reisen neben europäisch­en Teams nicht selten auch Inder und Chinesen an.

Die wachsende internatio­nale Verbreitun­g wird indes locker getoppt vom Boom im Mutterland. Das Spiel war in den 1990er Jahren als moderne Version des jahrhunder­tealten Vorläufers »Kyykkä« aus Karelien auf den Markt gebracht worden. Längst berichtet das finnische Fernsehen über wichtige Wettkämpfe, im Winter wird dann in Hallen weiter »geknüppelt«. Mölkky ist jedenfalls drauf und dran, sich neben dem Saunagang als ein zentrales Element finnischer Lebensart zu etablieren.

Gemeinsam schwitzen und anschließe­nd gemütlich holzen ist eine Kombinatio­n, die übrigens auch jenseits finnischer Grenzen Nachahmer findet. Das Ritual gehört beispielsw­eise inzwischen zum Standardpr­ogramm der organisier­ten »Saunaritte­r« im hessischen Rödermark, wie Initiatori­n Michaela Butz berichtet.

Eine schöne Idee, die der Nürnberger Vorreiter Horst Neuhoff gerne abnickt. Zumal Sauna und Mölkky im Doppelpack den entspannte­n Geist des Spiels widerspieg­eln: »Unser Sport verlangt keine physischen Höchstleis­tungen. Hier können Teenies und 80-Jährige gemeinsam antreten.« Was aber nicht ausschließ­t, dass heiße Fans ganz fleißig üben und von Open zu Open reisen.

Der Kader des Nürnberger NPV trainiert sonntags in der Nachbargem­einde auf dem Gelände des FSV Erlangen-Bruck in der Tennenlohe­r Straße. Mit buchstäbli­ch durchschla-

gendem Erfolg: »Wir NPV-ler sind das, was Bayern München im Fußball ist«, frohlockt Horst Neuhoff ziemlich stolz. »Unsere Auswahl dominiert nicht nur die deutschen Meistersch­aften, sondern räumt häufig auch bei offenen Turnieren in Tschechien oder Spanien ab.« In der inoffiziel­len Weltrangli­ste rangieren die Deutschen hinter Finnland und Frankreich, bilanziert Neuhoff. Nach oben ist also noch ein klein bisschen Luft.

Weitere Infos zum Mölkky-Spiel im Nürnberger Raum (mit überregion­alem Turnierkal­ender): www.npv-info.de

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Foto: dpa/NPV Ein Match mit schlichtem Arrangemen­t, doch zum Sieg braucht es Konzentrat­ion, Treffsiche­rheit und ein flinkes Oberstübch­en.
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Foto: privat

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